Feuerkinder – Über Leben nach der Katastrophe

Ludwigshafen (RP)/Mainz  – Ein Foto, das um die Welt gegangen ist: Kamil Kaplan lässt seinen sieben Monate alten Neffen Onur aus dem dritten Stock eines brennenden Hauses in Ludwigshafen fallen. Der Polizist Uwe Reuber fängt den Säugling auf und rettet ihm damit das Leben. Doch fünf weitere Kinder und vier Frauen schaffen es an diesem 3. Februar im Jahr 2008, dem Fastnachtssonntag, nicht mehr in Sicherheit. Sie kommen in den Flammen ums Leben. Darunter Kamils Frau, zwei seiner Töchter sowie seine Mutter.

Ludwigshafen, 3. Februar 2008: Am Fastnachtssonntag, kurz nach dem Umzug, kommt es zur Tragödie: innerhalb von kürzester Zeit brennt ein Mehrfamilienhaus lichterloh. Neun Menschen kommen dabei ums Leben. (Bild: SWR)

35 Menschen des Hauses am Danziger Platz werden schwer und acht schwerstverletzt. Es ist die größte Brandkatastrophe in Ludwigshafen nach dem 2. Weltkrieg. Schnell gibt es Gerüchte über einen fremdenfeindlichen Anschlag, denn alle Opfer sind türkischstämmig. Die Ludwigshafener Feuerwehr soll zudem absichtlich zu spät gekommen sein. Sie kann dies zum Glück alles widerlegen (siehe Interview unter diesem Beitrag). Doch in der Folge rücken die Tragödie und das Schicksal der Opfer immer mehr in den Hintergrund, die Brandkatastrophe entwickelt sich zu einer Krise in den deutsch-türkischen Beziehungen. Auf persönlicher Ebene knüpft sie aber auch untrennbare Bande zwischen den Beteiligten.

Anzeige

Gülseren Sengezer und Ekki Wetzel haben in ihrer Dokumentation „Feuerkinder – Über Leben nach der Katastrophe“ mit Opfern, Ermittlern, Einsatzkräften, Staatsanwaltschaft und Politik gesprochen. Sie erzählen die Geschichte der Menschen hinter den Schlagzeilen und rekonstruieren den Tag der Katastrophe und die überaus komplizierten Ermittlungen danach.

„Feuerkinder – Über Leben nach der Katastrophe“, dreiteilige Doku ab 20. Februar 2023 in der ARD Mediathek/90-minütiger Film am 22. Februar 2023 um 20.15 Uhr im SWR Fernsehen

Mehr zum Thema:

Ludwigshafen: Reaktionen nach Brandkatastrophe

Von Michael Klöpper

Berlin/Ludwigshafen (RP) –Im Februar 2008 bei einer Brandkatastrophe in Ludwigshafen neun türkisch stämmige Personen ums Leben. Noch während des Einsatzes erhoben türkische Medien schwere Vorwürfe gegenüber der Feuerwehr. Dieser dramatische Einsatz und die Konflikte danach waren beispielsweise auch für den Deutschen Feuerwehrverband damals ein Anlass, seine interkulturellen Aktivitäten zu verstärken.

Feuerwehrmagazin.de sprach im Jahr 2011 exklusiv mit dem damaligen Leiter der Berufsfeuerwehr Ludwigshafen Peter Friedrich und seinem Mitarbeiter Murat Isik über die Maßnahmen nach dem dramatischen Einsatz.

Feuerwehrmagazin.de: Herr Friedrich, die Emotionen kochten nach der Tragödie hoch. Die Feuerwehr erfuhr unerwartet aggressive Anfeindungen aus der türkisch-stämmigen Bevölkerung, obwohl sie jegliche Kritik an ihrem Vorgehen innerhalb kürzester Zeit widerlegen konnte. Wie konnte eine Eskalation letztlich verhindert werden?

Friedrich:  Die Anfeindungen hatten ihre Ursache in der türkischen Medien-Berichterstattung, die damals so schnell nicht ausgeräumt werden konnten, da wir als Feuerwehr keine türkischen Zeitungen lesen. Erst durch die Berichte unseres türkischen Kollegen und seiner Frau, die zu diesem Zeitpunkt in der Türkei weilte, wurde uns dies bewusst. Von diesem Zeitpunkt an haben wir die türkischen Medien täglich übersetzen lassen, um dann in den Pressekonferenzen darauf reagieren zu können. Dies zeigte Wirkung. Maßgeblich zur Deeskalation beigetragen haben die Staatsministerin Prof. Dr. Maria Böhmer, die ständig in Ludwigshafen präsent war, der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan mit einer beeindruckenden Rede am Einsatzort und vor allem unsere Oberbürgermeisterin Dr. Eva Lohse, die unermüdlich versucht hat, die Wogen zu glätten. Besonders beeindruckt hat mich ihre Rede vor den Imamen, die für unsere Brandschutzaufklärung grundlegend war.

Feuerwehrmagazin.de: Herr Isik, was konnten Sie als türkischstämmiger Feuerwehrbeamter zur Konfliktlösung beitragen?

Isik: Ich habe mit meinen Landsleuten gesprochen, sie über die Lage aufgeklärt. Schließlich kam uns der entscheidende Einfall, die Imame anzusprechen. Sie riefen in den Gebeten in den Moscheen ihre Mitmenschen zur Besonnenheit und Ruhe auf.

Feuerwehrmagazin.de: Auch im Nachhinein ließ die Feuerwehr nicht locker und suchte den Kontakt zu der türkisch stämmigen Bevölkerung. Welche Wege haben Sie da beschritten?

Friedrich: Uns war klar, dass wir es ohne Unterstützung nicht schaffen werden. So haben wir den Kontakt zu einer türkischen Feuerwehr gesucht, um das türkische Feuerwehrwesen besser zu verstehen. Wir waren in Moscheen und haben dort Vorträge über Brandschutz gehalten. Gemeinsam mit unserer Schwesterstadt Mannheim legten wir eine zehnsprachige Broschüre auf, die in alle Haushalte verteilt wurde. Wir haben aber auch Werbung in eigener Sache gemacht. Inzwischen konnten wir vier junge Türkinnen in der Freiwilligen Feuerwehr begrüßen.

Isik: Wir haben den Kontakt zur Berufsfeuerwehr Istanbul aufgebaut und von den Kollegen zunächst Informationsmaterial in türkischer Sprache erhalten. So konnten wir aktiv in die Aufklärungsarbeit in der türkischen Gemeinde einsteigen. Zum türkischen Rheinland-Pfalz-Tag besuchte uns eine Delegation der Istanbuler Feuerwehr und unterstütze uns an unserem Informationsstand. Richtig Spaß macht die Zusammenarbeit mit dem Radiosender Metropol FM in Berlin. Der sendet ausschließlich in türkischer Sprache und wir bringen dort unter anderem die Brandschutzerziehung mit ins Programm ein.

Feuerwehrmagazin.de: Für Sie sind diese Maßnahmen zunächst eine Reaktion auf die Ereignisse rund um die Brandkatastrophe gewesen? Was würden Sie Feuerwehren raten, die das Motto „Für ein offenes Miteinander“ bei sich vor Ort umsetzen möchten?

Friedrich: Uns war schon vor dem Einsatz bewusst, dass wir mehr informieren müssen. Was fehlte, waren geeignete Ansprechpartner. Die haben wir leider erst durch dieses Ereignis bekommen. Wichtig ist, offen aufeinander zuzugehen, sich gegenseitig zu respektieren und so langsam ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Das gelingt uns nur, wenn wir die Feuerwehr bei türkischen Veranstaltungen präsentieren.

Isik: Ganz klar, am wichtigsten sind Aufklärung und Kommunikation. Die Feuerwehren sollten einen Schritt auf die türkische Gemeinde zu machen, sie über die Wichtigkeit der Feuerwehr aufklären und einen steten Kontakt pflegen. Es gibt da so viele Wege – über die deutsch-türkischen Vereine oder über soziale, örtliche Einrichtungen. Für Feuerwehren wäre es auch wertvoll, den einen oder anderen türkisch stämmigen Mitbürger für ihre eigenen Reihen zu gewinnen. Nicht wegen der Mitgliederzahlen. Sie können einfach besser auf ihre Landsleute einwirken, sowohl in Einsatzsituation als auch im Alltag.

Feuerwehrmagazin.de: Können Sie konkret Institutionen benennen, an die sich die Feuerwehren bundesweit wenden können?

Friedrich: Aus unserer Sicht sind Moscheen und Vorsitzende deutsch-türkischer Vereine die besten Ansprechpartner. 

Brandkatastrophe von Ludwigshafen im Februar 2008. Foto: Feuerwehr Ludwigshafen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert