Bonn (NW) – Terror und Gewalt beschäftigen auch die Feuerwehren. Jochen Stein, Amtsleiter BF Bonn und Vorsitzender der AGBF-Bundhat dazu für das Feuerwehr-Magazin folgende Zeilen verfasst.
Der anhaltende Terror und die zunehmende Gewaltbereitschaft in Europa bewegen uns besonders. Sie richten sich offenbar gegen Alles und Jeden, wir können alle davon betroffen sein. Mit unseren Aufgaben sind wir aber besonders betroffen, denn wir können bewusst oder unkontrolliert als Einsatzkräfte mit den Auswirkungen des Terrors konfrontiert werden. Es entstehen bei solchen Einsätzen Gefährdungen, die nur die Polizei mit ihrer Legitimation, Ausbildung und Ausrüstung abwenden kann.
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Die Feuerwehren und Rettungsdienste halten sich von diesen Gefährdungen bis zur Aufklärung und Freigabe durch die Polizei zwar grundsätzlich fern. Dieser Grundsatz kann aber schon bei alltäglichen Lagen an seine Grenzen kommen. Wie agieren wir denn, wenn der Patient im Rettungswagen sich erst durch sein Verhalten im Verlauf des Einsatzes als gewalttätig entpuppt? Oder wenn sich im Wirkbereich eines, wie sich erst im Einsatzverlauf herausstellt, häuslichen Gewalttäters Verletzte befinden und die Polizei noch nicht vor Ort ist?
Wir müssen auch damit umgehen, wenn der Täter in der Wohnung das Sondereinsatzkommando erwartet, dann aber seine Wohnung im Mehrfamilienhaus in Brand setzt und plötzlich bis dahin Unbeteiligte gefährdet. In all diesen Fällen werden wir etwas tun wollen oder sind dazu genötigt.
Bei großen und spektakulären Ereignissen wird der Unterschied zwischen grundsätzlich richtigem, individuell aber anzupassendem Verhalten besonders deutlich. Wenn Terroristen in einer Innenstadt Schusswaffen einsetzen, bedeutet eine eintretende Ruhe nicht, dass alle Täter unschädlich gemacht wurden. Die Aufklärung der gesamten Lage kann für die Polizei Stunden oder gar Tage in Anspruch nehmen.
Das steht im Widerspruch zu den von uns dringlich zu erledigenden Aufgaben. Die Verletzten bei Terroranschlägen müssen möglichst sofort versorgt werden. Von denen, die gerettet werden könnten, stirbt sonst der überwiegende Teil in der ersten halben Stunde. In dieser kurzen Zeit sind die Aufklärung und die Bereinigung der Gefahrenlage nicht zu erwarten.
Die Einsatzkräfte von Feuerwehr und Rettungsdienst lehnen den Einsatz bei solchen Szenarien dennoch nicht grundsätzlich ab. Allerdings kommen wir nicht umhin, solche besonderen Lagen mit neuen Stichworten zu versorgen und in der Einsatzplanung vorzubereiten. Die Vorgehensweise muss hier mit der Polizei abgesprochen sein. Diese Vorbereitung wird aber nicht dem Anspruch genügen, einfache Patentrezepte für alle Beteiligten zu liefern.
Strikte Regeln wie “das machen wir nie” oder “das machen wir dann immer so” wären ebenso wünschenswert, wie sie unrealistisch sind. Wenn es soweit ist, werden die Führungskräfte auf allen Ebenen und jede Einsatzkraft selbst Entscheidungen für sich und andere treffen müssen. Die Abwägung zwischen den lebensrettenden Maßnahmen und der Sicherheit der Einsatzkräfte wird in Einzelfallentscheidungen enden. So kann es möglich sein, in offenbar sicheren Bereichen zu bleiben und Einsatzmaßnahmen zurückzustellen, in noch nicht aufgeklärten Gefahrenbereichen tätig zu werden oder Patienten unter Vernachlässigung von Behandlungsstandards aus dem Gefahrenbereich zu bringen. Erst im Nachhinein wird sich zeigen, was die beste Option gewesen wäre und ob einem hoffentlich der Erfolg Recht gibt.
“Die Abwägung zwischen den lebensrettenden Maßnahmen und der Sicherheit der Einsatzkräfte wird in Einzelfallentscheidungen enden.”
Auch bei der materiellen Ausstattung ist viel in der Diskussion. Bei zusätzlichen Materialien für die Patientenversorgung geht es nur um die Abwägung der Verhältnismäßigkeit zwischen Aufwand und Nutzen. Die meisten Rettungsdienste dürften hier bereits nachgerüstet und entsprechende Empfehlungen umgesetzt haben. Bei passiver Schutzausstattung für die Einsatzkräfte scheint die Diskussion aber noch nicht abgeschlossen zu sein. Dort ist es auch schwieriger zwischen Schutzbedürfnis, Aufwand, Nutzen und falschem Sicherheitsgefühl abzuwägen.
Als Grundlage für die taktische Vorbereitung hat die AGBF-Bund im November 2016 Empfehlungen zur Rettungsdienststrategie bei Bedrohungs- und großen Polizeilagen verabschiedet. Ergänzend dazu ist eine übergreifende Empfehlung zur Zusammenarbeit in der Gefahrenabwehr bei diesen Lagen in der Bearbeitung und wird voraussichtlich im Herbst dieses Jahres veröffentlicht.
Mit Terrorlagen müssen wir uns also beschäftigen und uns darauf vorbereiten. Aber wir müssen uns nach wie vor auch um andere Dinge kümmern, die sachlich betrachtet viel wahrscheinlicher und häufiger auftreten. So wie die gesamte Gesellschaft es nicht zulassen darf, dass sie vom anhaltenden Terror nachhaltig beeinträchtigt wird, dürfen wir das bei den Feuerwehren und den Rettungsdiensten ebenfalls nicht. Wir werden auch weiterhin bei einer Explosion in der Innenstadt oder einem in eine Menschenmenge gefahrenen Fahrzeug sofort ausrücken und helfen – mit dem Unterschied, dass wir fortan die mögliche Terrorgefahr als eine von vielen Ursachen und Gefahren an diesen Einsatzstellen mitberücksichtigen.