London – Am 1. Januar 2017 übernahm Dany Cotton das Amt des Commissioners der London Fire Brigade (LFB). 151 Jahre nach der Gründung ist sie damit die erste Frau an der Spitze der fünftgrößten Feuerwehr der Welt. Cotton trat im Alter von 18 Jahren als Firefighter in die LFB ein und arbeitete sich durch alle Ränge nach oben.
Feuerwehr-Magazin: Was denken Sie sind die größten Herausforderungen, denen sich die London Fire Brigade in diesen Tagen gegenüber sieht?
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Dany Cotton: Wir haben es in den vergangenen 10 Jahren geschafft, die Zahl der Brände um 50 Prozent zu senken. Das ist natürlich gut, denn es bedeutet, dass unsere Einwohner sicherer sind als früher. Aber es bedeutet eben auch, dass mit der sinkenden Zahl an Einsätzen die Feuerwehrleute immer weniger Erfahrung sammeln können. Somit ist es eine sehr wichtige Aufgabe, unseren Mitarbeitern eine gute Ausbildung zukommen zu lassen, sodass sie fit sind und ihre Arbeit sicher ausführen können.
FM: Das war noch anders, als Sie 1987 in die Feuerwehr London eingetreten sind?
Cotton: Oh ja. In den 1980er Jahren hatte die London Fire Brigade sehr viele Einsätze und wir erhielten unser Training überwiegend während der täglichen Arbeit. Das fehlt den Kolleginnen und Kollegen heutzutage, sie können Fähigkeiten verlieren und unvorsichtig werden. Dazu kommt die enorme Weiterentwicklung auf dem Bereich der Persönlichen Schutzausrüstung. Als ich anfing, trugen wir noch Wolljacken, Plastikhosen und einen Helm aus Kork. Heute ist die PSA so hervorragend, dass Feuerwehrleute in sehr heiße Bereiche vorgehen können, ohne dass sie die Hitze bemerken. Diesem Verlust an praktischer Erfahrung können wir nur durch eine gute Ausbildung begegnen.
FM: Eine weitere Herausforderung dürften die Terroranschläge der jüngsten Vergangenheit sein, oder?
Cotton: Sie sind eine enorme Herausforderung. Wir hatten in 2017 fünf Anschläge – jeder von ihnen war anders. Auch hier müssen wir uns fragen: Wie reagieren wir? Wie können wir uns darauf vorbereiten? Und vor allem, wie können wir unsere eigenen Leute schützen, wenn sie zu einem solchen Vorfall gerufen werden? Denn während der ersten Anrufe ist ihnen in der Regel noch nicht bekannt, dass es sich um Terrorismus handelt. So hieß es bei dem Anschlag auf der Westminster Bridge, es habe sich ein Autounfall ereignet. Also fahren die Feuerwehrleute mit dem Gedanken an einen Unfall raus, und wenn sie ankommen, erwartet sie dort ein Terrorist. Ich denke, Terrorismus sollte niemand unterschätzen.
FM: Welche Auswirkungen hat dies auf Ihre Mitarbeiter?
Cotton: 2017 war für die London Fire Brigade wirklich hart. Ich bin am 1. Januar zum Commissioner ernannt worden. Und seitdem hatten wir viele Großbrände, die erwähnten Terroranschläge und natürlich die Brandkatastrophe im Grenfell Tower. Jemand hat mich mal gefragt: Wann kehren wir denn zur Normalität zurück? Meine Antwort war: Das hier ist jetzt unsere Normalität. Und wir müssen uns darauf einstellen.
FM: Grenfell Tower war der schlimmste Brand in London seit dem Zweiten Weltkrieg. Wie gehen Sie, wie geht die LFB damit um?
Cotton: Grenfell Tower ist ein beispielloses Ereignis, wie es nicht nur diese Feuerwehr, sondern vermutlich jede Feuerwehr in Europa noch nicht erlebt hat. Ich denke, dass es die Art der Brandbekämpfung stark verändern wird. Derzeit unterstützen wir massiv die Untersuchungen der Polizei zu den Brandursachen und dem raschen Verlauf. Gleichzeitig müssen wir uns mit Kritik an unserer Arbeit und unserer Ausstattung auseinandersetzen. Es geht sehr viel um Verantwortung und viele andere Parteien in dieser Untersuchung probieren, ihre Verantwortung auf andere, auf uns abzuwälzen.
FM: Nicht gerade leicht für die Kolleginnen und Kollegen, oder?
Cotton: Ich habe meinen Feuerwehrleuten und meinen Disponenten gesagt: In dieser Nacht habt ihr euren Job bestens erledigt. Ihr habt Unglaubliches geleistet, also versucht, nicht auf die Vorwürfe zu hören. Gleichzeitig kennen wir nun die Risiken von ACM-Verkleidungen (ACM = Aluminium-Composite-Material) und wir wissen, dass es in London viele weitere Gebäude in dieser Bauart gibt. Wir müssen nun sicherstellen, dass wir wissen, wo diese zu finden sind und wie wir auf ein Brandereignis dort reagieren.
FM: Was bedeutet das im Einzelnen?
Cotton: Wenn wir eine größere Zahl an Notrufen hereinbekommen, senden wir bereits frühzeitig eine entsprechend erhöhte Zahl an Löschfahrzeugen sowie Einsatzkräften zu einem solchen Objekt. Jetzt wissen wir, dass sich diese Gebäude im Brandfall nicht so verhalten, wie Sie und ich es normalerweise erwarten würden. Bisher waren unsere ganze Ausbildung, unsere Einsatzplanung und unsere Erkenntnisse darauf ausgerichtet, dass sich ein Feuer über rund 60 Minuten nicht über eine Wohneinheit hinaus ausbreiten würde. Somit konnten wir reingehen, das Feuer löschen und die Bewohner retten. So sollte es eigentlich sein. Jetzt ist es das nicht mehr. Und das ist sehr beängstigend.
FM: Wie beeinflusst diese Erkenntnis die Feuerwehrleute seitdem?
Cotton: Ich habe mit den Einsatzkräften und ihren Führungskräften gesprochen, die im Grenfell Tower eingesetzt waren. Sie haben mir erzählt, dass sie bei direkt nachfolgenden Einsätzen in Hochhäusern immer wieder erwartet haben, erneut das gesamte Gebäude im Vollbrand vorzufinden. Das beeinflusst natürlich die Art, wie man zu einem Einsatz ausrückt.
FM: Wird sich auch an der Ausrüstung der LFB etwas ändern?
Cotton: Ja. Wir müssen die Flotte unserer Hubrettungsfahrzeuge ohnehin erneuern. Und deshalb möchte ich auch große Leiterbühnen beschaffen. Außerdem tauschen wir gerade unsere Atemschutzgeräte aus. Derzeit haben wir noch einen Mix aus normalen und Langzeit-Atemschutzgeräten. Ich möchte komplett auf Langzeitatemschutzgeräte umstellen. Auch Drohnen sollen die Einsatzleiter in Zukunft bei der Erkundung aus der Luft unterstützen.
FM: Ein Wort, das gerade überall die Runde macht, ist der Brexit. Hat das Ausscheiden Großbritanniens aus der EU auch Auswirkungen auf die LFB?
Cotton: Im Moment zum Glück noch nicht zu sehr. Wir bemerken es, wenn wir mit politischen Gremien zu tun haben, dass Anfragen länger brauchen bis zu ihrer Bearbeitung, weil alle mit dem Brexit befasst sind. Aber auch in der Zukunft glaube ich nicht, dass der Brexit unsere Zusammenarbeit mit anderen europäischen Feuerwehren ändern wird. Als LFB haben wir eine Verantwortung, unsere Erkenntnisse mit anderen zu teilen und auch die gute Zusammenarbeit in der Vergangenheit wird dadurch nicht leiden.