Köln (NW) – Ein Mann in weißem T-Shirt steht in seinem Zimmer und telefoniert – keinen Meter vor ihm gähnt der Abgrund. Der Laminatfußboden vor ihm ist abgebrochen, ein Schrank hängt halb in der Luft. Von der Decke baumelt eine Jalousie – das Fenster, zu der sie gehört, ist nicht mehr da, ist mit der Außenwand zusammen in die Tiefe gerauscht. Zu sehen ist diese Szene auf einem Foto des Kölner Fotografen Frank Dohmas. Er ist zufällig vor Ort, als um 13:58 Uhr am Dienstag, den 3. März 2009 das Historische Archiv der Stadt Köln einstürzt und in einer 25 Meter tiefen U-Bahn-Baustelle verschwindet.
Kurz nach 14 Uhr gehen die ersten Notrufe bei der Köner Feuerwehr ein: “Das historische Stadtarchiv an der Severinstraße ist eingestürzt!” Die Disponenten lösen nach lösen nach den zahlreichen Anrufen und den ersten Rückmeldungen Großalarm aus. Zu diesem Zeitpunkt ist noch völlig unklar, ob und wie viele Menschen in den Trümmern verschüttet sind. Nicht nur das 48 mal 14 Meter große und vier Stockwerke hohe Archiv ist zusammengestürzt. Auch die Nachbargebäude sind zerstört.
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200 Einsatzkräfte von Berufs- und Freiwilliger Feuerwehr sowie verschiedenen Hilfsorganisationen rücken an. Dieselbe Kräftezahl steht in Bereitstellung. Auch überörtliche Rettungsdienstkräfte sind alarmiert worden. Doch lediglich eine leicht verletzte Person sowie einige schockierte Menschen, die das Gebäude rechtzeitig verlassen konnten, müssen versorgt werden. Bauarbeiter hatten sie rechtzeitig warnen können, als in die Baugrube massiv Wasser eingebrochen war. weitere Suchen, auch mit Hilfe von Rettungshunden, ergeben zunächst keine weiteren Opfer.
Die Nachbargebäude des Archiv sind akut einsturzgefährdet, de Einsatz von schweren Baumaschinen ist nicht möglich. Im Umkreis von 100 Metern werden Häuser vorsorglich geräumt, darunter ein Altenheim. Abstützmaßnahmen werden eingeleitet. Mit rund 1.700 Kubikmeter Beton, in langen Betonmischer-Karawanen herbeigeschafft, werden in den folgenden 20 Stunden die unterirdischen Hohlräume stabilisiert. Erst nach drei Tagen kann ein Abrissbagger seine Arbeit aufnehmen und die gefährlichen Trümmer Stück für Stück beseitigen. Immer wieder werden die Arbeiten durch Suchaktionen von Feuerwehr und Rettungshunden unterbrochen.
Nach fünf Tagen – es sind rund 4.000 Tonnen Schutt wird ein erstes Todesopfer gefunden. Die Leiche des 17-Jährigen befindet sich rund 3,3 Meter unter dem Straßenniveau. Es dauert vier weitere Tage, bis in 9 Meter Tiefe die Leiche eines zweiten Vermissten geortet und geborgen werden kann. Er hatte ich zum Unglückszeitpunkt im Dachgeschoss aufgehalten und war buchstäblich in die Tiefe gesogen worden. Ein Gerichtsmediziner vermutet, dass der junge Mann zunächst noch gelebt hat und erst später an Dehydrierung oder Unterkühlung gestorben ist. (Quelle: Bericht aus Feuerwehr-Magazin 5/2009, mik)
Die Ursache für den Einsturz
Die unmittelbar vor dem Stadtarchiv liegende Baugrube wurde durch Schlitzwände gegen das Grundwasser abgedichtet. Wasser am Boden der Grube wurde laufend abgepumpt. Der Großteil der Gutachter, die nach dem Unglück mit der Suche nach der Ursache beauftragt worden waren, nehmen ein Leck in dieser Schlitzwand an. Durch dieses sei mit dem Grundwasser auch Erde unbemerkt in die Baugrube gelangt, das mit dem Wasser herausgefördert worden war. Dadurch entstand unter dem Archivgebäude ein Hohlraum. Zusammen mit einem massiven Wassereinbruch kurz vor dem Unglück habe dies zum Einsturz geführt.
Im Laufe dieser Untersuchungen kam massive Schlamperei bei der Bauausführung in Verbindung mit kriminellen Aktivitäten ans Licht. So wurde deutlich mehr Grundwasser abgepumpt als genehmigt. Messprotokolle wurden gefälscht. 19 illegale Brunnen waren am Grund der Baugrube errichtet worden. Zudem kam es immer wieder zu Diebstählen von Bewehrungseisen für die Schlitzwände, die ebenfalls durch eine mangelnde Bauaufsicht von Seiten des Bauherrn nicht bemerkt worden war.
Bergung der Archivalien
Anfangs koordiniert die Feuerwehr den Schutz sowie erste Bergungsanläufe des verschütteten Archivmaterials. Rund 90 Prozent der Inhalte sind mit den Trümmern in die Grube gerutscht. Ein Notdach schützt die Unglücksstelle. Der Schutt wird in eine angemietete Halle gefahren und dort sortiert. Auch dabei helfen die Einsatzkräfte. Dann wird es auf Asylarchive in ganz Deutschland zur Zwischenlagerung verteilt. Extrem durchnässtes oder bereits angeschimmeltes Material wird in Kühlhäusern gefriergetrocknet. Eine spätere Berechnung ergab, dass 200 Restauratoren etwa 30 Jahre benötigen würden, um alle Schäden zu beheben. Kosten: rund 370 Millionen Euro. (Quelle: Wikipedia)
Auch für die Feuerwehr der Stadt Köln ist dieser Einsatz immer noch nicht beendet. Wie der ehemalige Direktor der Feuerwehr Johannes Feyrer in einem Interview 2015 angab, gibt es immer noch einen Einsatzleiter dafür bei de BF Köln.
Am Sonntag, 3. März 2019, werden Stadt Köln, Kölner Verkehrs-Betriebe und verschiedene Organisationen dem Einsturz des Historischen Archives der Stadt Köln am Waidmarkt gedenken. Vor dann exakt zehn Jahren stürzten das Gebäude des Historischen Archivs und zwei benachbarte Wohngebäude im Zusammenhang mit den Baumaßnahmen des benachbarten Gleiswechselbauwerks für die künftige Nord-Süd-U-Bahn in den Untergrund. Zwei Menschen verloren ihr Leben, Anwohner mussten auf Dauer ihre Wohnungen verlassen, Schulen in Interimsstandorte ausweichen, Bewohner des anliegenden Seniorenheims ihr Heim verlassen, das Quartier Behinderungen hinnehmen, die teilweise noch andauern. Insgesamt 27 laufende Kilometer Archivgut wurden verschüttet und lagen teilweise im Grundwasser. 95 Prozent der Archivalien konnten mit beispiellosem Einsatz von Berufsfeuerwehr, Hilfsorganisationen aber auch freiwilligen fachfremden Helfern geborgen werden. Der finanzielle Gesamtschaden wird aktuell auf 1,3 Milliarden Euro kalkuliert. Die für den anstehenden Zivilprozess zur Schadensregulierung bedeutenden Untersuchungen am Gleiswechselbauwerk werden voraussichtlich in diesem Jahr abgeschlossen, so dass anschließend mit dem Rückbau der temporären Bauwerke und dem aktiven Aufbau der U-Bahn-Strecke begonnen werden kann. Die strafrechtliche Bewertung der Einsturzursache wurde in den letzten Wochen durch verschiedene erstinstanzliche Urteile festgestellt. Danach beruht der Einsturz auf der mangelhaften Ausführung einer sogenannten “Schlitzwand” zur Absicherung der Baugrube gegen Grundwasser und Erdreich durch die beauftragte Bau-Arbeitsgemeinschaft. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. (Quelle: Pressemitteilung der Stadt Köln)