Dauerhaft im Ausnahmezustand

Berlin – Fast täglich ruft die Berliner Feuerwehr inzwischen den Ausnahmezustand im Rettungsdienst aus. Mit den dann greifenden Notmaßnahmen kann das System vor dem Zusammenbruch bewahrt werden. Wir haben über die aktuelle Situation mit Landesbranddirektor Karsten Homrighausen gesprochen.

Ein typisches Bild für die derzeitige Situation in Berlin: ein RTW verlässt die Feuerwache. Die Rettungsmittel sind permanent im Einsatz. Foto: Hegemann

FM: Wann wird der Ausnahmezustand im Rettungsdienst in Berlin ausgerufen?
Homrighausen: Wenn absehbar ist, dass die Anzahl der verfügbaren Rettungsmittel längerfristig unter 20 Prozent fällt und die vorgegebene Eintreffzeit von 10 Minuten nicht eingehalten werden kann, ruft die Leitstelle den entsprechenden Ausnahmezustand aus. Längerfristig heißt: nicht nur für ein paar Minuten.

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FM: Wie lange dauert ein Ausnahmezustand?
Homrighausen: Das ist wirklich sehr unterschiedlich. Im Juni hatten wir einmal an einem Wochenende den Fall, dass wir erst nach 16 Stunden wieder in den Normalbetrieb zurückehren konnten. In der Nacht fehlten krankheits- und urlaubsbedingt 107 Mitarbeitende.   

FM: Welche Folgen oder Auswirkungen hat das dann?
Homrighausen: Wir verschieben in solchen Fällen Personal aus den Bereichen Brandbekämpfung und Technische Hilfeleistungen, um weitere Rettungswagen (RTW) besetzen zu können. Oder es wird gegebenenfalls Personal auf eine andere Wache geschickt, um dort Lücken zu schließen.

FM: Woher stammt dieses zusätzliche Personal?
Homrighausen: Unsere rund 50 Lösch- und Hilfeleistungsfahrzeuge (LHF) sind in der Regel mit einer Staffel (1/5/6) besetzt. Bei einem „Personalminus“ werden diese Einsatzmittel personell gemindert und das Personal wird in den Bereich „Rettungsdienst“ verschoben – übrigens aus meiner Sicht das Alleinstellungsmerkmal der Feuerwehren, die in den Rettungsdienst eingebunden sind! Eine weitere Möglichkeit ist, entsprechend qualifizierte Mitarbeiter aus den rückwärtigen Bereichen einzusetzen. Angedacht ist auch, qualifiziertes Personal aus der Verwaltung einzusetzen. Außerdem werden sehr oft LHF als First Responder zu den Patienten geschickt – das war allein im Jahr 2021 fast 20.000-mal der Fall.

Seit 2018 steht Dr. Karsten Homrighausen an der Spitze der Berliner Feuerwehr. Mit über 5.000 Beschäftigten ist sie die größte kommunale Feuerwehr Deutschlands. Foto: Hegemann

FM: Es handelt sich also in der Regel um ein Personalproblem?
Homrighausen: Sagen wir mal so: An der Technik sollte es nicht liegen.

FM: Warum werden die Rettungsmittel nicht besetzt?
Homrighausen: Weil beispielsweise Einsatzkräfte in einem nicht kompensierbaren Umfang krank sind.

FM: Gibt es weitere Gründe, die zur Verschärfung der Situation geführt haben?
Homrighausen: Das Einsatzaufkommen ist in den letzten Monaten enorm gestiegen. Vor Corona hatten wir rund 1.000 bis 1.200 Einsätze am Tag. Jetzt sind es bis zu 1.700. Der Durchschnitt liegt derzeit bei 1.500.

FM: Früher gab es den Ausnahmezustand nur sehr selten. Inzwischen scheint er an der Tagesordnung zu sein.
Homrighausen: Das stimmt. 2020 hatten wir ihn 64-mal, 2021 dann 178-mal. Und in diesem Jahr fanden allein in der ersten Jahreshälfte bisher fast genauso viele Ausrufe statt.

FM: Letzte Frage: Warum ist das Problem im Rettungsdienst in Berlin so viel dramatischer als in anderen Großstädten?
Homrighausen: Tatsächlich weiß ich aus den Gesprächen mit Kollegen, dass die Problematik überall ganz ähnlich ist. Die enorm gestiegenen Einsatzzahlen und der derzeitige Fachkräftemangel bei den Notfallsanitätern sind für uns alle eine große Herausforderung. Aber scheinbar rufen nur wir als Gegenmaßnahme den Ausnahmezustand aus.

Was die Berliner Feuerwehr unternimmt, um den Ausnahmezustand nicht zum Dauerzustand über Jahre werden zu lassen, was schon auf den Weg gebracht wurde und was noch kommen soll, findet Ihr in der September-Ausgabe 2022 des Feuerwehr-Magazins. Die aktuelle Ausgabe ist derzeit im Zeitschriftenhandel erhältlich. Ihr könnt Sie aber auch ganz bequem in unserem Online-Shop kaufen: zum sofortigen Download oder als gedruckte Ausgabe (versandkostenfrei). >>>Hier geht es zur Ausgabe<<<.  

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Hast du schon einmal daran gedacht was eigentlich passiert, wenn man 15 Jahre bei der FW oder bei der Pol ist, dann einen Unfall im Einsatz hat und nicht mehr arbeiten kann? Wenn man nur ein Angestellter ist, dann hat man Pech gehabt. Als Beamter hast du zumindest eine sichergestellte Versorgung.
    Der Job bei FW/Pol ist gefährlich und nicht mit einem Job als Angestellter in einer Firma (oder Angestellter im Verwaltungsdienst einer Behörde) zu vergleichen.
    Es hat schon seinen Sinn, dass es Beamte sind, die den Job machen.
    Zu den anderen Gründe, dass man bei der Feuerwehr und der Polizei keine Leute brauchen kann, die streiken können, ist auch logisch.

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  2. Also wie man den Verzicht auf den Sicherheitstrupp in den BF-Staffeln während einem Drittel des Kalenderjahres zu Gunsten der Besetzung von Rettungswagen als “Alleinstellungsmerkmal” auch noch positiv darstellen kann, ist aber auch sehr speziell…
    Nochmal: Ein Drittel der Dienstzeit sorgt der Dienstgeber wissentlich nicht für die vorgeschriebene Sicherheit der einzusetzenden Atemschutztrupps nach FwDV. Ich bin mir sicher dass das juristisch als Organisationsverschulden bewertet wird.
    In diesem Interview macht es nicht den Anschein als ob der Behördenleiter die Dramatik wirklich erfasst.

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  3. Ich glaube es ist ihnen entfallen, dass es bestimmte Gründe gibt einige Berufsgruppen in den Beamtenstatus zu stellen. Ein Beamter darf zum Beispiel nicht streiken. Wenn Polizei und/oder Feuerwehrleute streiken würden, hätten wir noch am selben Tag bürgerkriegsähnliche Zustände. Tausende Menschen würden sterben, Anarchie beherrscht die Straßen und Eigentum würde den Besitzer wechseln oder in Zerstörung enden.
    Was passieren muss ist Folgendes: bessere Vergütung, attraktive Arbeitszeiten (keine 48 Std/Wo) und Aufstiegsmöglichkeiten. Desweiteren sollte die Bevölkerung überlegen, ob es nötig ist die Feuerwehr zu rufen, um sich ein Pflaster aufkleben zu lassen oder nach 4 Wochen festzustellen, dass Nachts um 3 Uhr die beste Zeit ist, um ins Krankenhaus zu gehen anstatt die Wochen vorher sich beim Hausarzt untersuchen zu lassen. Die Feuerwehr ist für Notfälle gedacht und kein Taxiunternehmen.
    Und falls jemand bestreitet, dass diese Bespiele nicht war sind: ich bin seit 32 Jahren bei dem Verein, bin 18 Jahre NAW und NEF gefahren und weiß genau, wovon ich rede. Ich würde jedem momentan abraten zur Feuerwehr oder zur Polizei zu gehen, wenn diese Arbeitsbedingungen anhalten.

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  4. Welche Altersgrenze meinst du?
    Die das man mit 36 noch eine Ausbildung bei der Feuerwehr beginnen kann um dann im RD eingesetzt zu werden? Bei den HiOrg’s auch später oder die das man mit 60 in Pension gehen kann bei den HiOrg’s leider später. Na da wäre ich Mal gespannt wenn du mit 65 nachts zum 15 Mal raus musst…. Verbeamtung ist gut, stell dir vor es währen keine Beamten und die könnten für bessere Arbeitszeiten und Bezahlung streiken….also nicht so viel Müll schreiben. Und helfen kannst du jederzeit.

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  5. Wir in Deutschland sind uns mit unserem Beamtenstatus selbst im Weg . Altersgrenze usw. Man kann Abhilfe schaffen: Beamtenstatus abschaffen, Gute Bezahlung , Anreize für Familien , d.h. Kinderbetreuung flexible Arbeitszeitmodelle, Und vorallem keine Altersgrenze mehr. Entscheident ist, was der Arbeitsmediziner bei der Einstellung sagt. Nehmt endlich die Arbeitswilligen , die mit Feuereifer dabei sind, aber nicht genommen werden, weil es eine Altersgrenze gibt. Es ist beschämend wie sich Deutschland mit seinen Gesetzen immer wieder selbst im Weg steht. Grüße

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  6. Was soll man dazu noch sagen.
    Mir fehlen langsam die Worte. Aber es muss was passieren, damit die einsatzkräfte nicht kaputt gehen. Und die jetzt kurz vor Pension leben noch was davor haben.

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  7. Hallo. Interessanter Artikel. Mich würde mal interessieren, ob und wie die Freiwilligen Wehren in Berlin hier mit eingebunden werden oder eingebunden werden könnten. VG Andreas

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