Frauenpower bei der Brandweer

Im Interview: Chefin der Feuerwehr Rotterdam-Rijnmond

Jolanda Trijselaar ist von November 2015 bis Dezember 2019 Direktorin der Feuerwehr (Brandweer) Rotterdam-Rijnmond gewesen. Ab 2020 tritt sie ihren neuen Job als Geschäftsführerin der  Sicherheitsregion Midden- en West-Brabant und Leiterin der Feuerwehr an. Wir haben sie zu Klimawandel, ihrem Führungsstil, Problemen in großen Feuerwehren und ihrer größten Herausforderung gefragt.

Für 4 Jahre lang, bis zum 31. Dezember 2019, leitete Hoofdcommandeur Jolanda Trijselaar als Feuerwehrdirektorin die Brandweer der VRR. Mittlerweile stieg sie zur  Generaldirektorin und regionalen Kommandantin der benachbarten Sicherheitsregion Mittel- und Westbrabant auf. Foto: Veiligheidsregio Rotterdam-Rijnmond (Bild: All rights reserved)

FM: Unsere Zugreise nach Rotterdam wurde durch einen Sturm verspätet. Wetterextreme sollen im Rahmen des Klimawandels zunehmen. Sehen Sie diesen Trend ebenfalls?

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Trijselaar: Ja. Wir bekommen auf Grund der immer länger werdenden Trockenheitsperiode im Sommer Probleme. Wenn wir kein Wasser im Boden haben und kein Regen fällt, dann trocknen die Flussbetten aus. Und die Deiche verlieren an Stabilität. Zudem sinkt vielerorts der Wasserdruck an den Hydranten bedrohlich.

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Noch vor 20 Jahren konnten wir uns darauf einstellen, dass im Herbst zwischen September und November Sturmsaison ist. Da waren dann meist zwei große Stürme. Nun hat sich die Saison auf das ganze Jahr ausgeweitet. Die Feuerwehr hat entsprechend mehr und mehr mit Unwetterereignissen zu tun.

FM: Wie gehen Sie mit Hitzeereignissen um?

Trijselaar: Zunächst einmal gibt es ein nationales Programm für die Bevölkerung. Sobald die Temperaturen an die 30 Grad Celsius kommen, werden in den Medien Verhaltenstipps veröffentlicht. Viel Wasser trinken, im Schatten aufhalten und so weiter. Zudem haben wir ein Konzept für unsere Feuerwehrleute, die ja in ihrer Persönlichen Schutzausrüstung besonderem Hitzestress ausgesetzt sind: Unsere Führungskräfte weisen sie dann darauf hin mehr zu trinken, wir packen mehr Trinkwasser auf die Fahrzeuge und geben die Anweisung raus, nicht ohne Frühstück zum Dienst zu erscheinen. Außerdem fordern wir bei kräftezehrenden Einsätzen direkt mehr Feuerwehrleute an. Die Kräfte wechseln sich dann häufiger ab und werden so geschont.

FM: In unseren Gesprächen mit Kollegen kam häufiger zur Sprache, dass Sie sich in besonderer Weise um die Feuerwehrleute kümmern. Was tun Sie?

Trijselaar: Wir haben 30 BF-Wachen und ich versuche jedes Jahr, mit jedem der Teams einmal zu essen, was einen ziemlichen Aufwand bedeutet und meinen Terminkalender ziemlich ausreizt. Aber es ist sehr wertvoll, vor Ort zu sein, den Leuten auf Augenhöhe zu begegnen, über ihre Sorgen zu sprechen und sie auch auf Einsätzen zu begleiten. Gerade diese Woche war ich auf einer Wache und beim Abendessen kam ein Alarm. Ich bin mit ihnen rausgefahren und habe einfach nur zugeschaut. Es ist dort nicht meine Aufgabe, den Leuten auf die Finger zu schauen und zu sagen, was richtig und was falsch ist.

Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass die Leute sich ernst genommen fühlen. Wenn sie ein Problem haben und damit auf mich zukommen, höre ich es mir immer an. Dann kann es vorkommen, dass ich sage: „Naja, das ist Dein persönliches Problem, löse es selbst, Du bist alt genug“. In anderen Fällen rührt das Problem aber vom System her. Dann notiere ich es mir, versuche herauszufinden, wo es herkommt und wie es gelöst werden kann. Manchmal kann ich das Problem nicht lösen. Das wichtige dabei aber ist: ich komme immer wieder auf die Leute zurück. Ich rufe an und gebe Rückmeldung, ob ich etwas erreichen konnte. Damit will ich den Leuten zeigen: ich mache keine Versprechungen, die ich nicht halten kann.

Und ich versuche auch immer, den Feuerwehrleuten mitzugeben: Du kannst gleichzeitig extrem professionell im Einsatz auftreten und gesellig sein. Das ist kein Widerspruch.

Unsere Aufgabe im Führungsstab ist es, dass die Kräfte gutes Training bekommen und das Material bekommen, das sie brauchen. Ich bin dafür verantwortlich, dass die Feuerwehrleute ihren Job gut machen können. Und das liebe ich.

FM: Wie bekommen Sie das in Ihrem Arbeitstag unter?

Trijselaar: Wenn ich danach gefragt werde, sage ich immer, ich arbeite 60 Stunden die Woche. 12 Stunden am Tag. Aber ein großer Teil meiner Arbeit ist sehr erfüllend. Ich nehme ihn deshalb nicht als „Arbeit“ wahr.

Manchmal bin ich samstags auf Veranstaltungen von den Freiwilligen Feuerwehren. Etwa bei Sportevents oder Tage der offenen Tür. Und dann gehe ich da für eine Stunde hin und sage „hi“. Beim dritten Samstag in Folge denke ich mir schon manchmal, dass es etwas viel ist. Aber es fühlt sich nicht an wie eine Last, die ich tragen muss. Ich mag es und es macht mir Spaß.

Immer mal wieder muss ich mich natürlich auch zurücknehmen und Abstand gewinnen. In den Urlaub fahren, das Telefon ausschalten und ein Buch lesen oder so.

Dazu muss man allerdings auch sagen: ich habe keine Kinder. Das macht es einfacher, sich auf die Arbeit zu konzentrieren, denke ich.

FM: Meine nächste Frage bezieht sich auf die Finanzierung der Feuerwehr. Wie geht diese in den Niederlanden vonstatten? Gibt es eine beispielsweise eine bestimmte Steuer?

Trijselaar: Die Gemeinden in einer Sicherheitsregion müssen an diese Umlagen gemäß ihrer Einwohnerzahl zahlen. Dann gibt es für die Gemeinden auch noch drei Steuerklassen, die sich nach der Größe von Städten richten. Je größer eine Stadtgemeinde ist, desto höher die Steuerklasse und desto mehr muss die Gemeinde an die Sicherheitsregion zahlen. Denn die meisten kleineren Städte haben meist nur Freiwillige Feuerwehrleute, was sich natürlich in den niedrigeren Kosten für die Feuerwehr niederschlägt.

Jedes Jahr entscheidet der Vorstand der Sicherheitsregionen, der aus den Bürgermeistern der Gemeinde besteht, ob wir mehr Geld bekommen oder nicht. Die Bürgermeister wollen natürlich immer möglichst wenig Geld ausgeben und denken, wir sind zu teuer. Und sie denken, unsere Gehälter sind zu hoch. Diese sind aber angelehnt an denen der Verwaltungsangestellten in den Gemeinden, da gibt es also nichts dran zu rütteln. Wenn wir dann allerdings neue Ausrüstungsmaterialien oder Arbeitsgruppen haben wollen, müssen wir das vor dem Vorstand sehr detailliert rechtfertigen.

Ich möchte zum Beispiel, dass die Sicherheitsregion sich konkret an den Kosten des Drohnen-Teams beteiligt, was ja eigentlich der Gezamenlijke Brandweer (Anmerkung der Redaktion: Die Gezamenlijke Brandweer – „gemeinsame Feuerwehr“ ist ein Zusammenschluss von den Werkfeuerwehren des Rotterdamer Hafens) angehört und von dieser getragen wird. Denn ich sehe darin sehr viele Vorteile und Einsatzmöglichkeiten auch für die städtische Feuerwehr.

Zusätzlich zu den Geldern von den Gemeinden bekommen wir noch Geld von der Landesregierung. Dieses darf nur für den Katastrophenschutz ausgegeben werden.

FM: Erst 2010 gab es ein Gesetz, das die Bildung der Sicherheitsregionen festlegte. Die Sicherheitsregion (Veiligheidsregio) Rotterdam-Rijnmond (VRR) gab es aber schon wesentlich früher. Wie kam das zustande?

Trijselaar: Ja, einige Sicherheitsregionen wurden erst nach der Gesetzesverabschiedung 2010 gegründet. Uns gibt es bereits seit 2006. Initiator und einer der geistigen Väter der Sicherheitsregionen überhaupt war Don Berghuijs. Er war zum Zeitpunkt des Unglücks von Enschede Direktor der Feuerwehr Rotterdam (Anmerkung der Redaktion: gemeint ist die Explosion der Feuerwerksfabrik von Enschede am Samstag, 13. Mai 2000, die 23 Menschen das Leben kostete. 947 Personen wurden verletzt und ein ganzes Stadtviertel verwüstet).

Berghuijs war ein Visionär. Er hat [sinngemäß] gesagt, wenn eine Katastrophe solchen Ausmaßes stattfindet, kann keine Stadt die Lage allein bewältigen. Wir brauchen also eine Feuerwehr, die über Gemeindegrenzen hinaus unkompliziert Hilfe leisten kann. Und die Einsatzkräfte müssen auch bei überregionalen Lagen ihren Platz kennen und als großes Team funktionieren können. Das war die Ausgangslage 2000/2001. Daraufhin haben sich die Funktionäre zusammengesetzt und ein Konzept ausgearbeitet. Berghuijs und der damalige Bürgermeister von Rotterdam – Ivo Opstelten – waren 2006 die treibenden Kräfte zur Gründung der ersten Sicherheitsregion Rotterdam-Rijnmond.

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FM: Wenn man den Zeitungsartikeln glaubt, ist die Situation bei der Feuerwehr Amsterdam seit Jahren kritisch. Dort heißt es, auf den Wachen machen die Leute, was sie wollen: Es gebe unter anderem mutmaßliche Fälle von offenem Rassismus und sexueller Nötigung. Der jüngste Direktor trat seinen Job vor 2 Jahren an und kündigte an, die Situation zu verbessern. Nun wurde er geschasst. Wie geht die Feuerwehr Rotterdam-Rijnmond vor, um solche Probleme zu vermeiden? Es scheint ja auch ein Problem zu sein, das mit der Größenordnung einer Feuerwehr einhergeht und diese ist ja bei Ihnen vergleichbar.

Trijselaar: Zuerst einmal ist es unfair, Amsterdam mit irgendeiner der anderen Sicherheitsregionen zu vergleichen. Wir haben bereits seit Jahren Veränderungen bei uns angestoßen. In Amsterdam läuft dieser Prozess langsamer ab.

Als Region mit sehr dichter Besiedelung hat Amsterdam fast ausschließlich Berufsfeuerwehrleute. Es gibt dort keine gemischten Wachen. Und es ist dort auch nicht Standard, dass Teams durchmischt werden. 2011 haben wir bei uns ein Rotationsverfahren eingeführt, bei dem die Leiter der Wachen nach 3 Jahren und die anderen Kräfte in größeren Abständen woanders hin gehen. Damit werden regelmäßig die Teams neu zusammengestellt. Denn nach 15 Jahren mit denselben Leuten in derselben Wache hat man automatisch eine Hackordnung: Wer zuerst da war, steht an der Spitze. Wenn er geht, wird der nächste Dienstälteste Chef der Wache. Der familiäre Zusammenhalt, der dadurch entsteht, hat sicherlich seine Vorteile. Es kann aber dazu kommen, dass es dann heißt: „ist ja nett, was das Management will, aber wir wollen das nicht“.

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Bei uns ist es zudem so, dass BF-Leute sich auf eine Wachabteilungsleiter-Stelle bewerben müssen. Sie werden es nicht automatisch, nur weil sie die ältesten sind. In Amsterdam war das bis vor kurzem noch der Fall. Und Rotationsverfahren gibt es dort noch nicht.

Was uns noch unterscheidet sind unsere Regeln für Führungskräfte. Den Wachabteilungsleitern beispielsweise sagen wir sehr deutlich, dass sie und ihr Team die gesamte Feuerwehr repräsentieren und damit eine große Verantwortung haben, dass der Eindruck der Bevölkerung gegenüber der gesamten Organisation ein guter ist.

Dass ich zu den Wachen fahre und dort mit den Teams esse, wäre in der Vergangenheit in Amsterdam unmöglich gewesen. Dort hätten sie gesagt: Das ist unsere Wache, wir wollen nicht, dass Du vorbeikommst. Der neue Direktor scheint mir jemand zu sein, der die notwendigen Veränderungen dort weiterführen wird.

FM: Was ist Ihre größte Herausforderung als Direktorin bislang gewesen?

Trijselaar: Die Sicherheit der Feuerwehrleute. Es ist mein größter Albtraum, dass meinen Leuten etwas passieren könnte. Der ganze Rest ist Beiwerk. Das klingt sehr einfach, aber es ist wirklich die größte Sache, die mich umtreibt und die größte Herausforderung in meinem Job.

FM: Wenn wir uns die Probleme unserer Zeit anschauen: Energiewende oder Terrorismus zum Beispiel. Welches Problem würden Sie als dringendstes bewerten?

Trijselaar: Bislang sind wir glücklicherweise von größeren terroristischen Anschlägen verschont geblieben. Normalerweise würde man auch sagen, ist dafür eher die Polizei verantwortlich. Aber wenn man etwa die Selbstmordattentate von Brüssel 2016 betrachtet: am Flughafen Brüssel-Zaventem wurde zunächst die Feuerwehr alarmiert, weil man bei der Explosion erstmal nicht von einer Attacke ausging. Demzufolge müssen unsere Kräfte darauf trainiert sein, Anzeichen von Terrorismus wahrzunehmen und entsprechend zu reagieren.

Bei der Energiewende bereitet mir die Geschwindigkeit ein bisschen Sorge. Zusammen mit der Feuerwehr im Hafengebiet haben wir zwar über Jahre sehr viel Erfahrung zu den Aspekten gesammelt, die die Energiewende mit sich bringen. Aber die Technologien, die dahinter stehen sind heutzutage extrem individuell konfigurierbar. Es ist für die Einsatzkräfte schwer von außen zu sehen, was jemand in seinem Haus verbaut hat und welche Gefahren damit bei einem Feuer einhergehen. Denn das ist nirgendwo hinterlegt.

Aber viele unserer Leute sind sehr wissbegierig und enthusiastisch bei diesem Thema. Sie wollen immer sofort alles über neue Technologien herausfinden. Dementsprechend glaube ich, dass wir auch hierfür immer Lösungen finden werden.

FM: Wagen wir einen Blick in die Zukunft: wie wird die Feuerwehr in 10 Jahren aussehen?

Trijselaar: Ich denke, die Feuerwehr wird mehr professionalisiert sein. Und es wird weniger Freiwillige Feuerwehrleute und mehr Berufsfeuerwehrleute geben.

Ich bin nicht diejenige, die sich ausmalt, ob wir in 10 Jahren überall schwebende Feuerwehrfahrzeuge haben. Ich schaue mir lieber den organisatorischen und strukturellen Teil an. Aber was ich jetzt schon sehe, ist, dass das Informationsmanagement und Daten eine immer wichtigere Rolle spielen. Dadurch sind wir vielleicht in der Lage, in der Zukunft Gefahren besser zu identifizieren und können besser einschätzen, an welchen Orten es vermehrt zu Einsätzen kommen kann.

Interview: Nils Sander

Die Feuerwehr Rotterdam-Rijnmond stellen wir Euch in einer großen Reportage in Ausgabe 1/2020 ausführlich vor.

Darin auch enthalten: der zweite Teil des Interviews mit Jolanda Trijselaar über Diversität in der Feuerwehr, Probleme durch die EU sowie 20-Jahres-Verträge, Nachwuchssorgen und neue Konzepte.

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