Sollen und können Menschen mit Behinderungen sich bei der Feuerwehr engagieren? Gar in die Einsatzabteilung übernommen werden? Dieser Frage stellen sich immer wieder einzelne Feuerwehren. Was Inklusion bedeutet und in welchen Fällen Inklusion bis in die Einsatzabteilung gelungen ist.
Soziale Inklusion bedeutet – kurz gesagt –, dass alle Menschen von der Gesellschaft akzeptiert werden und an dieser in vollem Umfang teilnehmen können. Das Inklusionsgesetz des Deutschen Bundestages vom Jahr 2008 sieht im Artikel 24 unter anderem vor, dass laut Konvention der Vereinten Nationen (UN) Menschen mit Behinderungen das gleiche Recht auf Bildung und Teilnahme an gesellschaftlichen Prozessen haben wie jeder andere Mensch. Auch der barrierefreie Zugang zu öffentlichen Gebäuden ist vorgeschrieben. Doch die Realität sieht oft anders aus.
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Das wird insbesondere bei vielen Feuerwehrhäusern deutlich, die zwar grundsätzlich als öffentlich gelten, aufgrund ihrer Funktion aber üblicherweise nur von Feuerwehrangehörigen genutzt werden. Wenn nun plötzlich einer der Feuerwehrleute auf einen Rollstuhl angewiesen ist, zeigt sich der Nachholbedarf der Städte und Kommunen. Sie müssen in solchen Fällen den barrierefreien Umbau beziehungsweise Zugang zum Feuerwehrgebäude finanzieren.
Menschen mit Behinderung sind beim Feuerwehrdienst versichert
Der Deutsche Feuerwehrverband (DFV) will sich dahingehend engagieren. Er spricht sich im “Positionspapier zur Einbindung von Menschen mit Behinderung in die Feuerwehr” eindeutig für eine Aufnahme von Menschen mit Einschränkungen in die Jugendfeuerwehr und in das Ehrenamt der Freiwilligen Feuerwehr aus. Man sehe sich als Spiegel der Gesellschaft mit allen Facetten. “Zusammenhalt und Kameradschaft” sind Eckpfeiler der Feuerwehr und diese Maxime möchte man auch und gerade bei der Inklusion vorleben. Jeder sei willkommen und werde seinen Fähigkeiten entsprechend eingesetzt und gefördert.
Weiter heißt es in dem Positionspapier: Der DFV will Menschen mit Behinderungen nicht nur dazu animieren, der Jugend- oder Freiwilligen Feuerwehr beizutreten und ihre Potentiale bestmöglich ausschöpfen, sondern auch die Barrierefreiheit weiter verbessern, Berührungsängste beseitigen und Mitglieder aktiv bei der Sensibilisierung und Fortbildung unterstützen.
Die Feuerwehrunfallkassen haben sich ebenfalls klar positioniert. Nil Yurdatap von der Unfallkasse NRW: “Wir versichern Menschen mit Behinderungen bei der Feuerwehr genauso wie jeden anderen, der für den Dienst als geeignet eingestuft wird. Natürlich obliegt es den Wehren, das Gefahrenpotential abzuschätzen und gegebenenfalls zu minimieren, aber eine Restriktion von unserer Seite gibt es nicht.”
Wehrleiter im Rollstuhl
“Wir Feuerwehrleute haben das schönste, notwendigste und gefährlichste Hobby der Welt. Gleichzeitig spiegeln wir die Probleme der Gesellschaft wider”, sagt Thomas Voß, Landesjugendfeuerwehrwart in Sachsen-Anhalt. Er initiierte und organisierte die Fachtagung “Chancen, Herausforderungen, Möglichkeiten und Grenzen der Inklusion” im Institut für Brand- und Katastrophenschutz in Heyrothsberge.
Dabei ging es unter anderem um die vielfältigen Möglichkeiten, Menschen mit einer Behinderung ganz selbstverständlich am Alltag teilhaben zu lassen. Und die Teilnehmer sprachen auch über den Versicherungsschutz. Dieser unterscheidet nicht zwischen Menschen mit oder ohne Behinderung.
Vor Ort war Ronny Müller, Wehrleiter der Freiwilligen Feuerwehr Hohenmölsen (Burgenlandkreis, ST). Nach einem Abszess am Rückenmark ist er auf einen Rollstuhl als Fortbewegungsmittel angewiesen. Für seine Kameraden kein Hinderungsgrund, ihn zum Wehrleiter zu wählen. “Inklusion heißt für mich vor allem, Barrieren in den Köpfen abzubauen, auch im eigenen”, sagte der 44-Jährige auf der Fachtagung.
Der 5-jährige Leon Standke aus Biere-Eickendorf (Salzlandkreis) ist ebenfalls auf einen Rollstuhl angewiesen. Diesen zieren Autogramme von Feuerwehrleuten aus ganz Deutschland. Denn Leon ist nicht nur ein großer Fan der Kinderfeuerwehr des Ortes, sondern wird an seinem 6. Geburtstag im kommenden Monat ihr offizielles Mitglied.
Rollstuhlfahrer besteht Truppmann-Ausbildung
Seit seinem zehnten Lebensjahr ist Finn-Niklas Gerken aus Achim (Kreis Verden) in der Jugendfeuerwehr. Der jetzt 18-Jährige hat 2018 Teil 1 der Truppmannausbildung bestanden und wurde in die aktive Wehr aufgenommen. Das Besondere: Gerken ist querschnittsgelähmt.
Finn-Niklas Gerken engagierte sich stark in der JF Achim und wurde dort zum Jugendsprecher gewählt. Gleichzeitig war er bei der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) aktiv. Doch im Sommer 2016 sollte sich sein Leben schlagartig verändern: Bei einem Badeunfall stürzt Gerken so schwer, dass er fortan querschnittsgelähmt ist.
Nach einem Jahr Aufenthalt in Krankenhäusern und Rehazentren konnte er seine Arme wieder bewegen. “Die Mitglieder der Jugendfeuerwehr und meine Betreuer waren während dieser schwierigen Zeit eine große Stütze für mich”, sagt Gerken. Sein Engagement in der JF setzte er fort.
Im Rollstuhl bei der Truppmann-Ausbildung
Weil Gerken und seine Kameraden überzeugt waren, dass er sich auch in der Einsatzabteilung einbringen kann, nahm er an der Truppmann 1-Ausbildung teil. “Finn-Niklas hat von Anfang an explizit keine Sonderbehandlung gewünscht”, stellt der Verdener Stadt-Pressewart Dennis Köhler klar. “Bei der Ausbildung und nachher bei der Prüfung hat er alle praktischen Aufgaben durchgeführt. Von Selbstrettung bis zum Aufbauen eines Löschangriffs konnte er alles in seinem Rollstuhl bewältigen. Nur die Leiter konnte er nicht besteigen.”
Gerken absolvierte als einer von 20 Feuerwehranwärtern erfolgreich die Truppmann 1-Ausbildung. “Wir haben damit vollkommenes Neuland betreten und neben vielen organisatorischen Maßnahmen im Vorfeld, wusste ich anfänglich auch nicht so ganz wie wir das bewältigen sollten”, berichtet Lehrgangsleiter Marco Meyer, “doch Finn-Niklas hat mit großem Ehrgeiz viele der geforderte Prüfungsleistungen trotz seines Handicaps mit Bravour gemeistert.”
Der junge Erwachsene will sich nun bei Ausbildungsdiensten und Verwaltungstätigkeiten einbringen. Bei einem Einsatz kann er im Feuerwehrhaus das Funken übernehmen. “Wir wollen langsam schauen, wo und wie Gerken optimal eingesetzt werden kann”, sagt Köhler, “Er gehört eben dazu und ist festes Bestandteil der Gruppe.”
Mit Handicap beim Einsatz
Dabei ist Gerkens Geschichte keinesfalls ein Einzelfall. Seit 2010 ist beispielsweise Olaf Müller, aktives Mitglied der FF Rondeshagen (SH, Herzogtum Lauenburg). Er ist geistig behindert, aber sehr geschickt im handwerklichen Bereich. Und er rückt mit zu Einsätzen aus, ist sogar ausgebildeter Truppführer. Müller kann zum Beispiel nicht lesen und schreiben, benötigt ein ruhiges und überschaubares Umfeld und feste Strukturen in den Tagesabläufen. Spricht eigentlich alles nicht für den Einsatzdienst in der Feuerwehr. Aber Müller ist dennoch bei allen Einsätzen dabei. Zugegeben, es handelt sich pro Jahr nur um durchschnittlich zehn Alarmierungen. Trotzdem ist seine Zuverlässigkeit für die FF Rondeshagen Gold wert.
Bei Einsätzen fungiert er in der Regel als Truppmann, hat einen erfahrenen Kameraden an seiner Seite. Führungskräfte achten darauf, dass er nicht im unmittelbaren Gefahrenbereich arbeitet oder bei psychisch belastenden Einsätzen, wie Verkehrsunfällen mit Personenschaden, mitwirkt. “Wir können mittlerweile damit umgehen, dass wir bei der Zusammenarbeit mit ihm besonders aufmerksam sein müssen”, sagt der ehemalige Wehrführer Andree Eggert in einem Interview mit dem Feuerwehr-Magazin. “Aber es lohnt sich, er ist auch als Einsatzkraft inzwischen eine große Hilfe.”