1972: Quimburga wütet

Jahrhundertorkan überraschte Norddeutschland

Bremen/Hannover – Am Sonntag jährt sich das Orkantief Quimburga zum 50. Mal. Am 13. November 1972 zog der Sturm über Mittel- und Westeuropa und überraschte Einwohner und Wetterexperten mit seiner Intensität. Schwere Sachschäden entstanden und dutzende Menschen starben. Vor allem Niedersachsen war stark betroffen, viele sprechen daher auch vom „Niedersachsenorkan“.

Von Kevin Mönkemeier und Olaf Preuschoff. Fotografien mit freundlicher Genehmigung des Internetportals Alt-Oldenburg.de.

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Schwere Verwüstungen richtet der Orkan in Oldenburg (NI) an. Am Schlossplatz werden die Dächer und Giebel mehrerer Häuser zerstört. Zum Glück gibt es in der Stadt keine Toten. (Bild: Alt-Oldenburg.de)

Der Abend des 12. Novembers 1972 ist für viele Menschen in Norddeutschland ein gewöhnlicher Sonntagabend. Die Tagesschau kündigt für den Folgetag lediglich einen gewöhnlichen Herbststurm an. Das tatsächlich einer der schlimmsten Stürme des 20. Jahrhunderts bevorsteht, ahnt zu diesem Zeitpunkt wohl noch keiner. Die Methodik der Wettervorhersage steckt noch in den Anfängen. Aufwendige Computersimulationen sind genauso unüblich wie ein internationaler Wetterdatenaustausch.

70 Jahre Deutscher Wetterdienst

Genau 70 Jahre ist es am heutigen November 2022 her, dass der Deutsche Wetterdienst (DWD) gegründet worden ist. Die Bundesbehörde hat ihren Sitz in Offenbach am Main (HE). Weitere Regionalzentren stehen in Hamburg, Potsdam, Leipzig, Essen, Stuttgart und München. 51 Wetterwarten mit hauptamtlichen Personal sowie 1.794 Stationen, die von ehrenamtlichen Wetterbeobachtern betreut werden, liefern Daten für die Wettervorhersage und Forschung.

Wetterwarnungen, Seewetterberichte, Hitzewarnungen, Pollenflugvorhersagen sowie Dienstleistungen für spezifische Zielgruppen (Land- und Bauwirtschaft, Luftfahrt, Schifffahrt und Verwaltungen) gehören zum Leistungsangebot. Für die Feuerwehren bietet der DWD das Katastrophenschutzportal FeWIS (Feuerwehr-Wetter-Informations-System) an. Mit dem Suchwort Warnwetter und der Warnwetter-App können Nutzer alle Wetterwarnungen in Echtzeit bekommen.

Wenige Stunden bevor der Orkan am 13. November 1972 Deutschland erreicht, wird den Meteorologen die Gefährlichkeit des herannahenden Sturms bewusst. Wetterwarnungen werden eingeleitet und Lautsprecherwagen auf die Straßen geschickt. Doch es ist zu spät, viele Menschen werden am Vormittag von den heftigen Windböen überrascht. Auf dem Brocken werden Windgeschwindigkeiten von 245 km/h gemessen, im Flachland von bis zu 155 km/h.

Schwerer Schaden entsteht an Gebäuden und Infrastruktur. Besonders Kirchtürme und Windmühlen sind stark betroffen. In Oldenburg (NI) beispielsweise bricht der Turmhelm der St.-Peter-Kirche ab und stürzt aufs Kirchenschiff. Die Feuerwehren sind im Dauereinsatz. Das Hauptsturmfeld umfasst Niedersachen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Berlin. In vielen Landesteilen wird der Katastrophenalarm ausgerufen. Insgesamt fordert der Orkan mindestens 73 Todesopfer in ganz Europa. In Bremen rissen Böen das Betondach des Columbushotels ab und schleuderten es auf den Bahnhofsvorplatz. Dort traf es einen haltenden Linienbus. Zwei Menschen starben. Teilweise fehlt in den Orten tagelang der Strom. Auch Engpässe in der Trinkwasserversorgung sind nichts Besonderes.

Der Turmhelm der St.-Peter-Kirche bricht ab. Die Trümmer stürzen auf das Kirchenschiff und verursachen schwere Schäden. (Bild: Alt-Oldenburg.de)

In Niedersachsen werden 10 Prozent der gesamten Waldfläche vernichtet. Etwa 20 Minuten wütet der Orkan dort mit voller Kraft. Das fünffache des normalen jährlichen Holzeinschlags fällt als Windbruchholz an. In den damals üblichen reinen Kiefernwäldern hat der Sturm leichtes Spiel. Für die Wiederaufforstung entscheidet man sich später dafür, vermehrt auf standortgerechte und naturnahe Mischwälder zu setzen.

Doch nicht nur forstwirtschaftlich stehen die Menschen nach dem Orkan vor einer Herausforderung. Die Aufräumarbeiten gestalten sich schwierig: abrollendes oder unter Spannung stehendes Holz, zurückklappende Wurzelteller und umstürzende Schlepper verursachen zahlreiche Unfälle. Insgesamt werden rund 700 Zwischenfälle, teils mit schwer verletzten Personen, gemeldet. 22 Todesfälle ereignen sich allein in Niedersachsens Wäldern.

Auch 50 Jahre später erscheinen die Problempunkte von 1972 aktuell. Noch immer gelingt keine zuverlässige Vorhersage von Naturkatastrophen, unzureichende Warnkonzepte und die Vorbereitung auf einen langanhaltenden Ausfall der Versorgungsinfrastruktur steht vielerorts in der Diskussion.

Im damaligen Sturmgebiet erinnern heute einige Gedenksteine an die Katastrophe von 1972.

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