Gefahren für Passagiere befürchtet

Stuttgart 21: Zeiten für Evakuierungen zu knapp geplant

Stuttgart – Rund 60 Kilometer Tunnel gehören zum Bauprojekt Stuttgart 21. Und dafür haben die Verantwortlichen bisher keinerlei Brandsimulationen durchgeführt. So sei nur die Flucht aus einem havarierten Zug ohne Brand berechnet worden – und eingeschränkte Fahrgäste wurden bei dieser Simulation gar nicht erst berücksichtigt. Deshalb gehe die Bahn von einer Evakuierungszeit von 15 Minuten für einen kompletten Zug aus. Dabei habe selbst die Räumung des brennenden ICE bei Montabaur am 12. Oktober 2018 dreimal so lange gedauert, geben die Autoren Hermann G. Abmayr und Gottlob Schober vom SWR zu bedenken. Und die fand auf freier Strecke statt.

Symbolbild: Olaf Preuschoff

Das Bahn-Projekt Stuttgart 21 könnte sich wegen möglicher Nacharbeiten beim Brandschutz verzögern und teurer werden. Nach Recherchen des ARD-Politikmagazins Report Mainz wurde für die Tunnel die Evakuierung der Fahrgäste bei einem Brand nicht digital simuliert. Das geht aus einem Schreiben von Anwälten der Bahn an das Eisenbahnbundesamt hervor, das dem Politikmagazin exklusiv vorliegt. Außerdem wurden beispielsweise Familien mit Kindern, ältere und behinderte Menschen für die Simulation nicht berücksichtigt. Deshalb seien die von der Bahn genannten Evakuierungszeiten nicht realistisch, sagte die Brandschutzexpertin Professor Kathrin Grewolls von der Hochschule Regensburg.

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Brandschutz Stuttgart 21

Hier der Beitrag aus der ARD-Mediathek:


 

Report Mainz hatte der Expertin für Vorbeugenden Brandschutz die recherchierten Unterlagen zur Prüfung vorgelegt. Grewolls erklärte, dass Fachleute mit digitalen Evakuierungssimulationen die Konsequenzen aus allen möglichen Gefahrenquellen berechnen und damit ein realistisches Rettungskonzept entwickeln können. Es sei deshalb unverständlich, dass die Bahn lediglich ein so genanntes „Kalt-Ereignis“ simuliert habe, bei dem ein nicht brennender Zug im Tunnel zum Stehen kommt. Beispielsweise bei einer Entgleisung. Wenn das Szenario eines Tunnelbrandes für Stuttgart 21 nicht durchgespielt worden sei, gehe die Bahn im Ernstfall ein „unkalkulierbares Risiko“ ein, sagte die Expertin.

Sind in den Tunneln des Projektes Stuttgart 21 die Evakuierungszeiten zu niedrig kalkuliert? Report Mainz geht dieser Frage nach. (Bild: SWR)

Auch Stuttgart 21-Kritiker, wie zum Beispiel die Gruppe „Ingenieure 22“, halten den Brandschutz für unzureichend. Sie haben deshalb das Eisenbahn-Bundesamt, die zuständige Genehmigungsbehörde von Stuttgart 21, informiert und weitreichende Verbesserungen gefordert. Damit konfrontiert äußert sich die Bahn nur allgemein: Die Stuttgart 21 Tunnel würden „alle strengen Sicherheitsanforderungen” erfüllen. Außerdem sehe „das einschlägige Regelwerk […] solche Simulationen nicht vor.“ Brandschutzexpertin Grewolls hält dies für eine Regelungslücke. Deshalb sei hier die Politik gefragt. Verkehrsminister Andreas Scheuer dagegen beteuerte, dass „die Sicherheit in Tunneln gewährleistet” und ein Rettungskonzept bereits „während der Planung mit den zuständigen Stellen abzustimmen” sei. Zur Regelungslücke sagte er nichts.

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Kalkulierte Evakuierungszeit in
Stuttgart 21 Tunneln zu niedrig?

Da die Bahn keinen Brandfall in den Tunneln simulieren ließ, erhielt sie im Ergebnis eine Evakuierungszeit von nur 15 Minuten. Dies sei nicht realistisch, sagt Professorin Grewolls, „weil ich nicht nur junge, gesunde Menschen in einem Zug habe, sondern ich muss damit rechnen, dass ich bewegungseingeschränkte Personen habe oder auch Personen mit einem erhöhten Platzbedarf, zum Beispiel eine Mutter mit kleinen Kindern, sodass hier die Evakuierungszeiten deutlich höher ausfallen werden.“ Diese Fahrgäste aber kommen in der Evakuierungssimulation der Bahn nicht vor. Die Anwälte des Konzerns räumen in dem Schreiben, das Report Mainz vorliegt, tatsächlich ein, „dass mobilitätseingeschränkte Personen nicht betrachtet wurden“.

Die Bahn erklärt dazu: „Das Eisenbahn-Bundesamt hat als zuständige Behörde das Brandschutzkonzept für den künftigen Stuttgarter Hauptbahnhof und die zulaufenden Tunnel geprüft und genehmigt.“ Das Bundesamt verweist allerdings darauf, dass die Bahn erst noch eine „detaillierte Ausführungsplanung, wie auch die betriebliche Regelung zum Brandschutz” vorlegen müsse sowie ein Konzept für die Selbst- und Fremdrettung. Im Klartext: Die ganzheitliche Brandschutzplanung für die Stuttgart 21-Tunnel ist noch nicht abgeschlossen.

Verzögerungen wie beim
Berliner Großflughafen BER?

Ob es wegen des Brandschutzes zu teuren Nachbesserungen und Verzögerungen bei Stuttgart 21 kommen könnte, wollte Report Mainz in der vergangenen Woche bei der Bilanz-Pressekonferenz der Bahn wissen. Die Antwort des zuständigen Vorstandes Ronald Pofalla: „Nach allen Erkenntnissen, die wir haben, werden wir die Neubaustrecke Ende 2022 und Stuttgart 21 Ende 2025 in Betrieb nehmen. Und so haben wir es dem Aufsichtsrat berichtet.“ Brandschutzexpertin Grewolls befürchtet dagegen, dass Stuttgart 21 ein ähnliches Schicksal droht, wie dem Berliner Großflughafen BER: „Dadurch, dass die ganzheitliche Brandschutzplanung noch nicht abgeschlossen ist und auch die Prüfung noch nicht abschließend vorliegt, müssen wir damit rechnen, dass weitere Maßnahmen erforderlich werden. Und die natürlich dazu führen, dass das Projekt teurer wird und dass auch die fristgerechte Fertigstellung von Stuttgart 21 in den Sternen steht.“

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Das größte Krematorium Europas.
    Nannte ein Brandschutzingenieur mal Stuttgart21.
    Beim Brand in Kaprun haben wir ja schon gesehen, dass allenfalls die Fahrgäste, die talwärts geflohen sind eine Überlebenschance hatten…. .
    Ich finde:
    Man sollte Stuttgart21 sicherheitshalber stilllegen.
    Vermutlich wird das irgendwann auch so gemacht.
    Von heute auf morgen.
    Wie viele Menschen müssen für diese Erkenntnis sterben?

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  2. Nun gut, das ist doch wieder typisch für öffentliche Projekte in diesem Land. Brandschutz brauchen wir nicht, siehe Flughafen “BER Berlin”, Das ist unattraktiv, nicht medienwirksam und kostet viel zu viel Geld.

    Das Prinzip der verbunden mit dem Prinzip-Hoffnung “es wird schon nichts passieren, wird schon alles gut gehen” regiert mal wieder.

    Der Erfolg von solchem Denken, war ja schon oft genug klar und deutlich zu sehen, auch in Deutschland. Ich erinnere hier nur an die Brandkastastrophe im Flughafen in Düsseldorf. Auch damals passierte das, “womit niemand rechnete”, ausser Brandschutzexterten natürlich, die aber nur mosern, dem Fortschritt im Wege stehen und Geld für “unnützen Kram” forden.

    Unverständlich, um nicht zu sagen unglaubhaft, ist es für mich nun allerdings schon, dass angeblich ein Brandereignis beim Erstellen des Rettungskonzeptes bei diesen Tunnelanlagen zur Rettung der Reisenden
    nicht berücksichtigt werden müsste.

    Denn bereits beim Bau der ersten ICE – Schnellfahrstrecken in den 80 zigern, wurde darauf gedrungen, bei den vielen oft langen Tunnepassagen beim Rettungskonzept von möglichen Bränden im Tunnel und der Rettung/Evakuierung möglicher Betroffener unter solchen Bedingungen aus zu gehen. Da dies bei der Planung bzw baulich nicht (ausreichend) vorgesehen wurde, mussten letztendlich die sog. “Tunnelrettungszüge” konzipiert und aufgestellt werden.

    An der Intercitylinie Hamburg – Würzburg sind vier solcher Züge und zwar in den Bahnhöfen Hildesheim, Kassel, Fulda und Würzburg und an der Stecke Stuttgart – Mannheim je einer in den Bahnhöfen der beiden genannten Städten stationiert. An mindestens drei der Standorten kann jeder Bahnnutzer diese jederzeit abfahrbereiten rot lackierten Züge stehen sehen

    Diese sind sowohl für Löscharbeiten und für Evakuierungen in Tunnelanlagen konzipiert worden.

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