Einsatzkräfte vernachlässigen zu oft die Absturzsicherung bei Arbeiten in der Höhe – aus Unwissenheit, um Zeit zu sparen oder aus Übermut. Wir erklären, wo die Absturzsicherung beginnt und wann ohne diese gearbeitet werden kann.
Der Dachstuhl eines dreigeschossigen Wohngebäudes brennt. Offenes Feuer ist nicht mehr sichtbar, aber es qualmt unter den Dachpfannen des Satteldaches heraus. Zwei Einsatzkräfte der Feuerwehr steigen aus dem Drehleiterkorb auf das Dach. Sie nehmen die Verkleidung auf, um Glutnester freizulegen. Die Feuerwehrleute arbeiten ohne Absturzsicherung. Solche Szenen kennt doch jeder Feuerwehrmann, oder? Im Volksmund ist dieses Vorgehen als Dachballett verpönt. Was vermeintlich gekonnt und mutig aussieht, kann tödlich enden.
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“Bei einigen Einsatzkräften ist dies vielleicht auf mangelndes Gefahrenbewusstsein zurückzuführen”, sagt Georg Reischl. Er ist Kreisbrandinspektor im Kreis Dachau (BY) und Ausbilder für Absturzsicherung. “Ich glaube aber, dass unsere Kameraden, obwohl sie die erforderlichen Knoten und Stiche grundsätzlich beherrschen, oft keine Erfahrung in der praktischen Anwendung unter Einsatzbedingungen haben.
“Das Tückische an der Absturzgefahr ist, dass Feuerwehrleute sie im Einsatz nicht als Gefahr empfinden”, erklärt Nikolai Stolte, Ausbilder am Standort Loy der Niedersächsischen Akademie für Brand- und Katastrophenschutz (NABK). “Im Vergleich dazu ist zum Beispiel die Gefahr der Atemgifte spürbarer. Auf das Einatmen von Brandrauch reagiert der Körper häufig sofort – mit Husten oder tränenden Augen.” Bei Arbeiten in Höhen wäre die erste spürbare Gefahr der Sturz. Doch dann ist es schon zu spät. So gilt es, alle Feuerwehrangehörigen bereits in ihrer Grundausbildung (Truppmannausbildung) für die Maßnahme Absturzsicherung zu sensibilisieren.
Wo sind die Grenzen der Absturzsicherung?
“Schon ein antrainiertes Verhalten, wie das Umklammern der Leitersprossen oder das richtige Übersteigen beim Leitereinsatz, können wir als Absturzsicherung bezeichnen”, erklärt Stolte. Darüber hinaus schult die NABK die “TOP-Regel” für technische, organisatorische sowie personelle Maßnahmen.
Zu den technischen Komponenten zählt der Ausbilder zuerst den Korb der Drehleiter. Durch das Geländer wird die Absturzgefahr gebannt. Eine organisatorische Tätigkeit ist das Absperren eines absturzgefährdeten Bereiches. Hier muss zusätzlich angezeigt werden, dass das abgesperrte Areal nicht betreten werden darf.
Die Schutzausrüstung muss an die Tätigkeit angepasst werden. “Wählt man die Sicherungsart ,Auffangen‘, muss zwingend der Gerätesatz Absturzsicherung genutzt werden”, stellt Stolte klar. “Bei der Sicherungsart ,Halten‘ kann unter Umständen der Feuerwehr- Sicherheitsgurt ausreichen.”
Als eine personelle Maßnahme bezeichnet Stolte den Einsatz von speziell geschulten Kräften. Die Mindestanforderung zur Ausbildung im Bereich Absturzsicherung ist nach Feuerwehr- Dienstvorschrift 2 schon in der Truppmannausbildung beschrieben. Im Rahmen der Grundtätigkeiten soll die Sicherungsart “Halten” mit Feuerwehrleine und Sicherheitsgurt geschult werden.
“Bevor mit dem Gerätesatz Absturzsicherung geübt wird, muss eine zusätzliche Unterweisung erfolgen”, sagt Stolte. “Diese Unterweisung kann zum Beispiel ein Gruppenführer durchführen, der die Fortbildung Absturzsicherung absolviert hat.”
Die Fortbildung umfasst nach Empfehlung der EUSR (European Union Special Rescue, einem Projekt der Europäischen Kommission für allgemeine und berufliche Bildung) 24 Unterrichtsstunden. „Dieser Abschnitt ist auch die erste Qualifikation auf dem Weg zum Multiplikator in der Absturzsicherung an der NABK”, erklärt Stolte. Im März 2012 führte die Akademie erstmals einen Multiplikatoren-Lehrgang durch. Umfang waren 37 Unterrichtsstunden.
Nikolai Stolte: “Voraussetzung für solch einen Lehrgang ist körperliche Fitness und Höhentauglichkeit, die Befähigung zum Ausbilder und die Teilnahme an der Fortbildung Absturzsicherung.”
Neben der Multiplikatoren- Schulung gäbe es noch einen zweiten Weg, um Ausbilder im Bereich Absturzsicherung zu werden: die Qualifikation zum Ausbilder “Spezielle Rettung aus Höhen und Tiefen”. Die fachlichen Voraussetzungen dafür sind ein abgeschlossener Grundlehrgang “Spezielle Rettung aus Höhen und Tiefen” (80 Unterrichtsstunden), eine abgeschlossene Gruppenführerausbildung sowie mindestens ein Jahr praktische Erfahrung als spezieller Retter. Der Umfang der Ausbildung umfasst ebenfalls 80 Unterrichtsstunden.
Beide Ausbildungswege werden in der Empfehlung “Spezielle Rettung aus Höhen und Tiefen” der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren in der Bundesrepublik Deutschland (AGBF Bund) beschrieben.
Dennoch gilt es, die Höhenrettung und die Absturzsicherung klar zu trennen. “Bei der Absturzsicherung geht es um die Sicherung von Einsatzkräften bei Tätigkeiten in Bereichen mit Absturzgefahr. Ein geplantes freies Hängen im Sicherungsseil ist nicht zulässig”, verdeutlicht Stolte. “Die Möglichkeiten zur Rettung beschränken sich auf die Erstsicherung des zu Rettenden, die Selbstrettung, das Ablassen einer Person nach dem Sturz und in Ausnahmefällen das gesicherte Zurückführen von absturzgefährdeten Personen.” Bei Rettungsmaßnahmen, die darüber hinaus gehen, kommen die “Speziellen Retter aus Höhen und Tiefen” zum Einsatz.