Durchschnittlich jede 1,15 Minuten muss die Berliner Feuerwehr zu einem Einsatz ausrücken: über 460.000 Mal im Jahr. Tendenz steigend. Auch die Einwohnerzahl wächst und wächst. Aktuell leben knapp über 3,7 Millionen Menschen in der Bundeshauptstadt. Und die Feuerwehr? Sollstärken auf den Wachen am Minimum, große Sorgen mit dem Fahrzeugbestand und täglich Extremsituation bestimmen das Bild. Riesige Herausforderungen für Berlins neuen Landesbranddirektor Dr. Karsten Homrighausen.
Dr. Homrighausen war vorher 2 Jahre Landesbranddirektor in Baden-Württemberg, davor einige Jahre 2. Stellvertretender Kommandant und Abteilungsleiter Einsatz der Feuerwehr Stuttgart. Er engagierte sich im Vorstand des Landesfeuerwehrverbandes Baden-Württemberg, setzte sich immer stark für die Belange der Freiwilligen Feuerwehr ein. Der 50-Jährige gilt als Experte unter anderem für die Absicherung von Großveranstaltungen, Maßnahmen im Katastrophenschutz und in der Notfallrettung.
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Wie sein Vorgänger Wilfried Gräfling kommt auch Karsten Homrighausen gebürtig aus Nordrhein-Westfalen, aus der Stadt Herdecke. Zur Person.
Feuerwehr-Magazin: Herr Dr. Homrighausen, Sie sind seit Sommer 2018 neuer Chef der Berliner Feuerwehr. Verraten Sie uns doch, bitte, warum Sie sich für diesen mächtigen und auch mutigen Schritt entschieden haben?
Dr. Homrighausen: Weil es eine Herausforderung ist, die ich gerne annehme und ich mich mit meinen Kompetenzen gerne einbringen möchte. Einbringen in einen Prozess, die Berliner Feuerwehr fit für die Zukunft zu machen. Und es ist eine Ehre, die größte Feuerwehr und die älteste Berufsfeuerwehr Deutschlands leiten zu dürfen.
FM: Sind Sie nun eigentlich mehr Politiker oder doch noch Feuerwehrmann?
Dr. Homrighausen: Ganz klar: Feuerwehrmann! Ich bin seit meinem 14. Lebensjahr Feuerwehrangehöriger und mein Herz schlägt nach wie vor für die Feuerwehr und deren Werte. Werte wie Kameradschaft, Respekt, Verantwortungsbewusstsein und Toleranz, aber auch eine besondere Lösungsorientierung und der für die Feuerwehr spezifische Pragmatismus. Als Landesbranddirektor darf ich darüber hinaus sehr viel strategisch denken und gestalten. Hierauf fühle ich mich durch meine vielfältigen Erfahrungen – insbesondere durch meine vorherige Aufgabe in einem Ministerium – gut vorbereitet.
Feuerwehr-Wahnsinn in Berlin
Die große Reportage über die Berufsfeuerwehr in der Hauptstadt auf 12 Seiten im Feuerwehr-Magazin 1/2019. Mit Grafik aller BF-Standorte.
Außerdem im Heft: Werkfeuerwehr Opel, packender Einsatzbericht aus Leipzig, Übertritt von der Jugendfeuerwehr in die Einsatzabteilung, VRW auf Ford Custom, Konzept zur Waldbrandbekämpfung …
Berufsfeuerwehr Berlin+++Vorausrüstwagen Ford Custom+++Waldbrände: Kontrolliertes Brennen+++Werkfeuerwehr Opel+++Übertritt von Jugendfeuerwehr in Einsatzabteilung
Dr. Homrighausen: Als ich zum ersten Mal in diesem Jahr tiefere Einblicke in die Organisationsstruktur erhalten habe, fiel mir direkt auf, dass die Gesamtstruktur der Behörde auf eine ständige Weiterentwicklung ausgelegt ist. Es gibt Projektgruppen für verschiedene zukunftsorientierte Themen. Themen, die eine ständige Veränderungsnotwendigkeit mit sich bringen und Veränderungsbereitschaft einfordern. Das ist aus meiner Sicht ungemein wichtig in dieser ständig weiter wachsenden Stadt. Nun gilt es, daran anzuknüpfen und die Zukunftsfähigkeit der Berliner Feuerwehr sicher zu stellen.
FM: Wo sehen Sie die Stärken der Berliner Feuerwehr?
Dr. Homrighausen: Die Berliner Feuerwehr setzt sich zusammen aus der Berufsfeuerwehr und der Freiwilligen Feuerwehr. In dieser herausfordernden Zeit können wir nur so schlagkräftig sein, da alle Berliner Feuerwehrangehörige in ihrer jeweiligen Rolle zu einer besonderen Verankerung in der Gesellschaft und somit auch zu einem positiven Bild in der Öffentlichkeit beitragen.
Der Zusammenhalt von der Bambinigruppe und der Jugendfeuerwehr über die Einsatzabteilung bis hin zu den Alters- und Ehrenabteilungen – von der Berufsfeuerwehr und den Spezialeinheiten über die Amts- und Funktionsträger der Freiwilligen Feuerwehr bis hin zum Musikzug. Das ist unsere besondere Stärke. Und zwar unabhängig vom Beschäftigungsverhältnis. Darauf bin ich stolz.
FM: Und wo muss sich die Feuerwehr dringend verbessern?
Dr. Homrighausen: Die Berliner Feuerwehr ist eine sehr große Behörde mit sehr vielen Facetten, die es zunächst kennen zu lernen gilt. Der Innensenator hat mich gebeten, ein Strategiepapier zu erarbeiten, das aufzeigt, wo die Feuerwehr im Jahr 2030 stehen soll. Diese Strategie möchte ich in der Berliner Feuerwehr in einer breit aufgestellten Diskussionskultur mit den Angehörigen der Berliner Feuerwehr entwickeln. Im Abschluss werden darin die Veränderungspotenziale für die Zukunft aufgezeigt.
FM: Auf ihren Wachen bezeichnen sich die Kräfte als am schlechtesten bezahlte Feuerwehrleute Deutschlands? Was steckt dahinter?
Dr. Homrighausen: Der Faktencheck belegt, dass sich die Höhe der Besoldung der Berliner Beamten im Vergleich der Bundesländer am unteren Ende der Skala wiederfindet. Vor diesem Hintergrund strebt die Regierungskoalition bis zum Ende der Legislatur im Jahr 2021 an, die Besoldung auf den Durchschnitt der Bundesländer anzuheben. Das ist eine wichtige Perspektive. Auch die Einführung einer derzeit breit diskutierten “Berlinzulage” kann hierbei weitere Wirkung entfalten.
Viel entscheidender finde ich aber, dass das über die letzten Jahre und Jahrzehnte in die Politik verlorene Vertrauen der Beschäftigten bei der Berliner Feuerwehr nun zurückgewonnen werden muss. Das muss sich in der Einhaltung von Zusagen ebenso wiederfinden, wie in den wichtigen und richtigen Entscheidungen für die Zukunft. Und dies stets mit einer zeitlich nachvollziehbaren Umsetzung.
FM: Die Sollstärken auf einigen Feuer- und Rettungswachen sollen deutlich reduziert worden sein? Was ist da dran?
Dr. Homrighausen: Mit dem Haushalt 2018/2019 wurden bereits über 350 zusätzliche Stellen bei der Berliner Feuerwehr geschaffen. Da allerdings der Arbeitsmarkt fertig ausgebildeter Feuerwehrkräfte in Deutschland sehr überschaubar ist, gilt es nun, in zahl- und umfangreichen Bewerbungsverfahren geeignete Personen auszuwählen, einzustellen und auszubilden. Hier befindet sich die Berliner Feuerwehr und vor allem die Berliner Feuerwehr- und Rettungsdienstakademie (BFRA) in einer bislang nie dagewesenen Ausbildungsoffensive. Mit allen Chancen und Risiken.
Zusätzlich wurde aus den besonderen Belastungsaspekten heraus, die wöchentliche Arbeitszeit im Einsatzdienst von 48 Stunden auf 44 Stunden pro Woche gesenkt. Das macht weitere Personalressourcen notwendig, die mit den erwähnten zusätzlichen Kräften – nach deren Laufbahnausbildung – erst in einiger Zeit auf den Feuerwachen entlastend wirken können. In Anbetracht dieser Umstände gilt es derzeit im besonderen Maße die Funktionsvorhaltung an dem Leitsatz zu orientieren: “Soviel wie nötig und so wenig wie möglich.”
FM: Wie ist es vertretbar, dass auf einer Wache wie Kreuzberg manchmal (inklusive RTW) nur 8 Leute im Dienst sind?
Dr. Homrighausen: Die aktuellen Tagesstärken werden jeden Morgen in mehreren Stufen erfasst und organisiert. Die Feuerwachen melden die Anzahl der sich im Dienst befindlichen Dienstkräfte. Dann überblickt ein Führungsdienst in jeder der drei Direktionen, wie die Kräfte verteilt sind und schlägt bei Notwendigkeit einen Personalausgleich zwischen den Wachen vor. In letzter Instanz überblickt der Lagedienst die geplanten Personalverschiebungen und stellt sicher, dass der Ausgleich auch über das gesamte Stadtgebiet gleichmäßig erfolgt. So kann es sein, dass auch eine Wache wie Kreuzberg manchmal bestimmte Funktionen nicht besetzt, dafür aber die umgebenden Wachen dieses Defizit ausgleichen.
FM: Stehen Sie weiterhin zu dem 12-Stunden-Dienst?
Dr. Homrighausen: Die Umstellung vom 24-Stunden-Dienst auf den 12-Stunden-Dienst ist ein Ergebnis der Vereinbarungen zwischen Gewerkschaften, Personalvertretungen und der Senatsverwaltung. Dies geschah bereits vor meiner Amtszeit und stellt schlussfolgernd eine klare Geschäftsgrundlage für mich dar. Es gibt zudem eine europäische Arbeitszeitrichtlinie, die es zu beachten gilt.
FM: Die Einwohnerzahl wächst, die Einsatzzahlen wachsen – was passiert bei der Feuerwehr?
Dr. Homrighausen: In den letzten 4 Jahren ist die Einwohnerzahl in Berlin um rund 100.000 Personen angestiegen. Diese Messlatte ist in anderen Bundesländern teilweise ein gesetzlicher Tatbestand zur Einrichtung einer Berufsfeuerwehr. Und dies gilt im übertragenen Sinne auch für Berlin. Auch die Berliner Feuerwehr wird ihre Kapazitäten in den kommenden Jahren bei derartigen Zuwachsraten anpassen müssen. Dies ist eine enorme Herausforderung, zumal bei den städtebaulichen Planungen und Umsetzungen die geeigneten Standorte für eine neue Feuerwache der Berufsfeuerwehr äußerst verhandlungsintensiv sind. Und dies auch noch in der heutigen Zeit – mit der Feuerwehr als kritischer Infrastruktur. Zur Finanzierung derartiger Neubaumaßnahmen hat Berlin extra ein Sondervermögen geschaffen. Die sogenannten SIWANA-Mittel stehen hier für “Sondervermögen Infrastruktur der wachsenden Stadt und Nachhaltigkeitsfonds”.
FM: Feuerwehrfahrzeuge fallen aus oder haben lange Standzeiten in den Werkstätten. Dort können die Mitarbeiter nicht mehr als ihre Arbeit tun. Wie lässt sich dieser Knoten lösen?
Dr. Homrighausen: Der Prozess zur Verkürzung der Ausfallzeiten unserer Fahrzeuge wird laufend evaluiert und angepasst. Bei den umfangreichen Reparaturnotwendigkeiten muss auch erwähnt werden, dass insbesondere die Lösch- und Hilfeleistungsfahrzeuge (LHF) hoch belastet und bereits in den vergangenen Jahren technisch immer wieder ertüchtigt worden sind, um auch über die kalkulatorische Nutzungsdauer hinaus dem Einsatzdienst zur Verfügung stehen zu können. Eine derartige technische Ertüchtigung ist nur begrenzt möglich und sinnvoll. Insofern gilt es, die Fahrzeugflotte zu erneuern.
Dringend erforderliche Neubeschaffungen sind bereits eingeleitet, auch wenn deren Umfang noch nicht voll umfänglich zum Abbau des Investitionsstaus beitragen werden. So erwarten wir für das Jahr 2019 die Auslieferung von insgesamt 15 neuen LHF. Dieses Beschaffungsvolumen konnte erst durch weitere kurzfristige Finanzmittel erreicht werden.
Aufgrund von Ausschreibungsfristen, Produktionszeiten und der erforderlichen Finanzmitteln sind die Beschaffungen zeitlich realistisch einzuschätzen. Auch ist die Frage der Risikostreuung – sprich: Macht es Sinn alle Fahrzeuge auf einmal zu beschaffen? – für ein hoffentlich ausfallsicheres System Feuerwehr zu beantworten. Fakt bleibt: Wir müssen für einen Übergang weiterhin mit stets angepassten und individuellen Lösungen arbeiten.
FM: Abschließend, welche drei Punkte stimmen Sie besonders zuversichtlich für die Zukunft?
Dr. Homrighausen: Zuversichtlich stimmen mich die Signale, die aus der Politik kommen. Die Berliner Feuerwehr braucht gute Finanzbeschlüsse – vor allem zu einer verstärkten Ressourcenausstattung. Hier gilt bereits heute der Dank allen Beteiligten – und ganz besonders den Abgeordneten für die Fortsetzung der guten und weisen Entscheidungen. Denn der für 2018/2019 beschlossene Zuwachs an Personal und Technik muss sich weiter fortsetzen, damit die Berliner Feuerwehr zukunftsfähig wird. Die aktuelle Leistungsfähigkeit der Berliner Feuerwehr bei der sehr angespannten Personalsituation ist enorm. Mit den Menschen, die sowohl hauptamtlich als auch ehrenamtlich bei der Berliner Feuerwehr tätig sind, bin ich dennoch sehr zuversichtlich, dass wir auch die bevorstehenden Herausforderungen als Feuerwehr gemeinsam im Team bewältigen können.
Als dritten Punkt möchte ich an dieser Stelle die positiven technischen Entwicklungen bei der Berliner Feuerwehr hervorheben. Von einem fortschrittlichen Schutzkleidungskonzept über zukunftsorientierte Tabletlösungen zur Einsatzbearbeitung bis hin zum Projekt eines elektrohybriden Löschfahrzeuges sind wir innovativ und entwickeln uns ständig weiter. Auch dank unserer vielfältigen Aktivitäten im Forschungsbereich.
Eine umfangreiche Übersicht der Standorte der Berliner Feuerwehr. Zum Teil sind Freiwillige Feuerwehren auf den Wachen der Berufsfeuerwehr mit untergebracht. Diese Standorte sind in der Grafik mit zwei Wachnummern versehen. Außerdem fungieren teilweise Feuerwehrhäuser der FF auch als Rettungswachen – als Beispiel siehe Wachnummer 3110 (FF Staaken) am westlichen Stadtrand.
BFRA Berliner Feuerwehr- und Rettungsdienst-Akademie
1100 Lehrrettungswache Mitte
plus Behördenleitung
1110 FF Mitte
1200 Feuerwache Friedrichshain
1204 Rettungswache Am Friedrichshain
1300 Feuerwache Prenzlauer Berg
1310 FF Prenzlauer Berg
1400 Feuerwache Moabit
1500 Feuerwache Urban
1600 Feuerwache Kreuzberg
1700 Feuerwache Tiergarten
1705 Rettungswache Bundeswehrkrankenhaus
2100 Feuerwache Schillerpark
2200 Feuerwache Wittenau
2204 Rettungswache Borsigwalde
2300 Feuerwache Hermsdorf
2320 FF Frohnau
2400 Feuerwache Tegel
2410 FF Heiligensee
2420 FF Tegelort
2500 Feuerwache Wedding
2600 Feuerwache Pankow
2604 Rettungswache Pankow Mitte
2610 FF Niederschönhausen
2620 FF Buchholz
2630 FF Blankenfelde
2640 FF Wilhelmsruh
2650 FF Pankow
2704 Rettungswache Buch
2710 FF Buch
2720 FF Karow
3100 Feuerwache Spandau-Nord
3110 FF Staaken
3104 Rettungswache Falkenhagener Feld
3200 Feuerwache Spandau-Süd
3210 FF Gatow
3220 FF Kladow
3300 Feuerwache Suarez
3304 Rettungswache Westend
3400 Feuerwache Wilmersdorf
3500 Feuerwache Ranke
3600 Feuerwache Charlottenburg-Nord plus Leitstelle und Direktion West