Oktober 1998: Auf der Fahrt von Finnland nach Marokko bricht auf dem Holzfrachter Pallas ein Feuer aus, als das Schiff sich südwestlich der dänischen Stadt Esbjerg befindet. Eine Serie von Pannen, Fehleinschätzungen und Versäumnissen sowie stürmische See führen dazu, dass die Pallas schließlich vor der nordfriesischen Insel Amrum auf Grund läuft. Öl läuft ins Meer, Tausende Seevögel sterben.
Text: Jan-Erik Hegemann (Chefredakteur Feuerwehr-Magazin), Holger Bauer und Florian Bernhardi
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Chronologie des Pallas-Einsatzes
25. Oktober
Die Holzladung des Frachtschiffes Pallas gerät bei Sturm und schwerer See vor der dänischen Nordseeküste in Brand. Das Einlaufen in den Hafen Esbjerg wird untersagt. Die Besatzung gibt das Schiff auf.
26. Oktober
Die Mehrzweckschiffe Neuwerk und Mellum werden vom Zentralen Meldekopf (ZMK) Cuxhaven zum Havaristen beordert. Die Pallas befindet sich bei deren Eintreffen gegen 15 Uhr etwa 18 Seemeilen nordwestlich von Sylt. Die beiden Bundesschiffe fordern sofort Feuerwehrleute an. Der ZMK alarmiert die Feuerwehr Cuxhaven. Gegen 15.30 Uhr nimmt ein Bundeswehrhubschrauber die Feuerwehrleute auf und fliegt sie zur Neuwerk. Ein Absetzen auf dem Havaristen ist nicht möglich – Sturm.
Von der Neuwerk wird eine Notschleppverbindung durch eine Kunststoffleine hergestellt. Eine schwere, stabilere Stahltrossenverbindung kann aufgrund der ausgefallenen Aggregate auf der Pallas nicht hergestellt werden. Während des Schleppvorganges reißt die Notschleppverbindung. Anschließend wird eine neue Kunststoffschleppleine von der Mellum ausgebracht und die Pallas etwa 25 Seemeilen seewärts in südwestlicher Richtung geschleppt. Die Neuwerk löscht mit ihren Monitoren den Brand an Deck weitgehend.
27. Oktober
Die Schleppverbindung reißt. Auch der vom Reeder der Pallas beauftragte britische Schlepper Alex Gordon kann nur eine Kunststoffschleppleine am Havaristen befestigen, die nach kurzer Schleppstrecke ebenfalls durchreißt. Danach gelingt es, mit einem Hubschrauber einen Bootsmann auf der Pallas abzusetzen, der einen Anker ausbringt und damit das Schiff auf Position hält. Von der Neuwerk aus werden die wieder auflodernden Brände auf der Pallas gelöscht. Zwischenzeitlich trifft die Oceanic ein.
Für einen weiteren Schleppversuch kann in einer gemeinsamen Aktion der Mellum und des Schleppers Oceanic die Stahltrosse der Mellum zur Pallas durchgezogen und dort an einem Poller befestigt werden. Kurze Zeit später bricht der Poller ab. Es wird daraufhin der zweite Anker der Pallas ausgebracht, der das Schiff allerdings bei dem noch ansteigenden Seegang nicht auf Position halten kann. Die Feuerwehr Cuxhaven fährt mit der Neuwerk zurück nach Cuxhaven. Wieder an Land bereiten sie sich auf einen erneuten Einsatz vor.
28. Oktober
Weitere Schleppversuche unterbleiben wegen des orkanartigen Sturmes und des starken Seeganges. Gegen 22.30 Uhr wird das schleswig-holsteinische Umweltministerium von der Sonderstelle des Bundes zur Bekämpfung von Meeresverschmutzungen – SBM – in Cuxhaven darüber informiert, das die Pallas trotz ausgebrachten Ankers abdriftet und etwa sieben Seemeilen südwestlich von Amrum auf das Wattenmeer zutreibt. Die Schlepper können nicht mehr an den Havaristen heranfahren.
Um 7.30 Uhr meldet die SBM aus Cuxhaven, dass die Pallas etwa 6 Seemeilen südwestlich von Amrum möglicherweise Grundberührung habe.
30. Oktober
Um 9.15 Uhr wird die Einsatzleitgruppe der fünf Küstenländer und des Bundes zur Bekämpfung von Meeresverschmutzungen (ELG) alarmiert, weil der Havarist nach Meldung eines Ölüberwachungsflugzeuges des Bundes etwa 500 Liter Hydrauliköl verloren hat. Die ELG tritt um 13 Uhr in Cuxhaven zusammen. Die Schlepptrossenverbindung zwischen der Alex Gordon und der Pallas soll wegen der geringen Wassertiefe durch den kleinen Hilfsschlepper Julius hergestellt werden. Für die Arbeiten an Bord der Pallas ist ein Vertrag mit der Bergungsfirma Wijsmuller im Gespräch. Nach dem Freischleppen soll die Pallas von der Alex Gordon zum Notliegeplatz in Cuxhaven geschleppt werden.
Das Staatliche Umweltamt Schleswig (StUA) und das Amt für ländliche Räume Husum (ALR) bereiten Maßnahmen für die landseitige Bekämpfung einer Ölverunreinigung vor. Eine seeseitige Bekämpfung ist bei den Seegangsverhältnissen ausgeschlossen.
Die Schlepper Alex Gordon und Julius befinden sich zur Ausrüstung für die Bergungsmaßnahme in Cuxhaven. Der Ölbekämpfungskatamaran Westensee liegt in Bremerhaven. Das Freischleppen ist für das Abendhochwasser am 31. Oktober geplant.
31. Oktober
Morgens herrscht weiterhin stürmisches Wetter mit 7 bis 8 Beaufort Windstärken und Wellenhöhen von 4 bis 5 Metern. Ein Tonnenleger des Wasser- und Schifffahrtsamtes (WSA) Tönning stellt gegen 10 Uhr erneut einen leichten Ölaustritt an der Pallas fest.
1./2. November
In den Morgenstunden scheitert ein weiterer Versuch des kleinen Schleppers Julius, zur Pallas zu gelangen, an den Wind- und Seegangsverhältnissen. Danach wird entschieden, dass die Aufgaben dieses Schiffes von einem Tonnenleger übernommen werden sollen. Die Pallas liegt bei Niedrigwasser wieder auf Grund. Die Schlepptrossenverbindung zwischen der Pallas und der Alex Gordon werden im Laufe des Tages hergestellt und bleiben bis zum Freischleppversuch beim Abendhochwasser bestehen. Dieser Versuch hat jedoch auch keinen Erfolg.
Die Mellum und die Alex Gordon versuchen am 2. November, den Havaristen beim Morgenhochwasser gemeinsam freizuschleppen – ohne Erfolg.
Zur Unterstützung der Schleppversuche wird Wasser aus dem Heckbereich in den vorderen Bereich des Schiffes gepumpt. Nach Ansicht der Experten ist derzeit ein Löschen der Ladung aussichtslos. Es muß davon ausgegangen werden, daß in den Laderäumen der Brand noch schwelt und ein Öffnen der verzogenen Luken zu einem erneuten explosionsartigen Brandausbruch führen kann. Weiteres Öl tritt aus. Ein rund 8,3 Kilometer langer und 200 Meter breiter Ölfilm bildet sich.
4./5. November
Der norwegische Schlepper Englishman trifft um 3 Uhr ein. Zur Zeit des Mittaghochwassers kann eine Schleppverbindung zur Pallas hergestellt werden. Die Holzladung an Deck ist vollständig verbrannt. Nach den vorliegenden Erkenntnissen befinden sich noch zwei Brandnester an Bord.
Über die Mittagszeit am 5. November gelingt es den Schleppern, die festliegende Pallas über den Bug um 70 Grad aus ihrer Lage zu drehen. Auf Beschluss der ELG ist am Vormittag die MS Norderhever des ALR Husum mit Ölbekämpfungsgeräten ausgerüstet worden. Sie geht im Hafen von Wittdün auf Amrum in Bereitschaft. Für den tieferen Wasserbereich liegt die Westensee bereits vor Ort.
6. November
Am Nachmittag stellt ein Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes einen Knick im Rumpf des Havaristen fest. Weitere Schleppversuche werden abgebrochen, da sonst im schlimmsten Fall der Rumpf aufbrechen könnte.. Am Abend erklärt die ELG die Pallas zum Wrack. Ein weiteres Ölbekämpfungschiff – die MS Knechtsand aus Cuxhaven – wird an den Schadensort beordert.
7./8. November
Die Schlepper Hooge und Oland mit dem Ponton Norderoog und Ölsperren fahren nach Amrum. Im Laufe des Tages entstehen im Seegebiet um das Wrack der Pallas mehrere Ölteppiche.
Der Eigner der Pallas hat keine weiteren Maßnahmen zur Bergung des Öls getroffen. An der Südspitze Amrums und am Südstrand von Föhr werden weitere Ölstreifen festgestellt. Die ELG verhandelt mit einer Bergungsfirma in Rotterdam.
9. November
Die Westensee und die Mellum bekämpfen das Öl auf See. In den Flachgewässern operieren die Knechtsand und die Norderhever. Ferner werden die Schlepper Oland und Hooge im inneren Wattbereich für den Aufbau von Ölsperren und das Auffangen des Öls eingesetzt. Die ELG und das Ministerium für Umwelt, Natur und Forsten des Landes Schleswig-Holstein beauftragen das Staatliche Umweltamt mit der Koordination der landseitigen Ölabwehr.
Auflage: eine enge Zusammenarbeit mit den Gemeinden und deren Feuerwehren. Gegen 23 Uhr schließt die ELG einen Vertrag mit der niederländischen Bergungsfirma Wijsmuller.
10. November
Aus der Tagesschau erfährt die Feuerwehr Cuxhaven vom Engagement der Niederländer. Der Stand-by-Status wird aufgehoben. Das Feuerwehr- und Ölbekämpfungsschiff Kiel bekommt den Einsatzbefehl. Seit 23 Uhr liegt eine hochseetaugliche Ölsperre um das Wrack. Das Restöl, das unter der Sperre hindurch drückt, wird seewärts von den Ölbekämpfungsschiffen aufgenommen.
11. November
Die Kiel ist vor Ort, kann wegen des starken Wellengangs aber nicht dicht genug an die Pallas ran. Die Niederländer treffen ein. Es wird die Hubinsel Barbara angefordert. Auf Amrum wird die Reinigung der Strände beendet. Ab 15 Uhr transportiert ein Hubschrauber der Bundeswehr Feuerlöschgeräte zum Havaristen.
12. November
Abschluss der Strandreinigung auf Amrum, Föhr und Sylt. Noch brennen einzelne offene Feuer auf der Pallas. Am Morgen werden mit einem Lastenhubschrauber der Bundeswehr weitere Löschgeräte zum Wrack gebracht. Fast alle für die Brandbekämpfung erforderlichen Geräte werden installiert. Drei Männer der Kiel unterstützen die Niederländer an Deck. Das Feuerlöschboot gibt erstmals Wasser ab.
13./14. November
Um das Wrack ist ein zeitlich befristetes Sperrgebiet errichtet worden. Die Bergungsfirma flutet die erste Ladeluke. Die Kiel kühlt die Pallas und das Ölbekämpfungs-Klappschiff Thor trifft ein. Am Abend sticht dann die Hubinsel Barbara in See. Bis zum Einbruch der Dunkelheit am 14. November hat die Bergungsmannschaft drei Laderäume bis zur Wasserlinie geflutet.
15. bis 17. November
Die Brände in den großen Laderäumen 4 und 4a sind nahezu gelöscht. Auch Laderaum 6 konnte zwischenzeitlich geflutet werden. Allerdings herrscht hier, wie auch im Laderaum 5, noch starke Glut. In den bereits als gelöscht gemeldeten Laderäumen 1 und 3 sind durch den stärker werdenden Wind wieder leichte Brände aufgeflackert. Auch in den anderen Luken flammen immer wieder Feuer auf. So herrscht am Abend des 17. November plötzlich in den Laderäumen 4a und 6 erneut offenes Feuer mit enormer Hitzeentwicklung.
18. bis 20. November
Seit etwa 12 Uhr am 18. November liegt die Hubinsel längsseits des Havaristen. Aufgabe hier ist es, die Restladung sowie das Lösch- und Seewasser aus den Laderäumen abzupumpen. Für diese Arbeit ist es jedoch erforderlich, dass die Schwelbrände an Bord der Pallas gelöscht sind. Neue Hiobsbotschaft: Der Ölschlengel um die Pallas ist an mehreren Stellen gebrochen.
Erst im Laufe des 20. Novembers sind die Brände weitestgehend gelöscht. Von der Hubinsel Barbara aus wird damit begonnen, aus den beiden hinteren Schweröltanks der Pallas Öl abzupumpen. Die Tanks befinden sich auf der Backbordseite im Bereich der Luken 5 und 6. Die Saugleitungen werden durch die Entlüftungsschächte in die Tanks geführt. Das Öl wird zunächst in die Tanks der Barbara gepumpt und von dort mit Schiffen abtransportiert.
21. November
Die Hilfskräfte auf den Inseln sind auf weitere Anlandungen vorbereitet. Auf Amrum stehen 15 THW-Helfer und 60 Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr, auf Föhr 300 freiwillige Feuerwehrleute bereit. Aus dem Kreis Nordfriesland könnten bis zu 1.000 weitere Kameraden hinzugezogen werden. Auch die Bundeswehr könnte kurzfristig mit 100 Soldaten die Arbeiten unterstützen. Beim THW stehen weitere 150 Helfer in Bereitschschaft.
22./23. November
Die Bergungsfirma meldet, dass das Feuer aus ist. So beginnen die Niederländer am 23. November, Öl aus dem Maschinenraum abzuschöpfen und das Abpumpen aus den Tanks vorzubereiten. Die Tanks befinden sich auf der Backbordseite im Bereich der Luken 5 und 6.
Die Ölschlengel sind aufgrund des starken Seegangs gerissen und hängen an der Steuerbordreling der Pallas fest. Sie werden von den Kräfte der Kiel entfernt. Die Schlengel sind komplett zerstört. Schaden: 1,5 Millionen Mark.
Einsatzmaßnahmen bis ins neue Jahr
Dieses Tagebuch der einzelnen Einsatzmaßnahmen würde sich hier bis zum 10. Januar 1999 fortsetzen. Am 3. Dezember verlässt die Kiel das Wrack der Pallas und tatsächlich bis zum neuen Jahr dauern die Arbeiten mit der Hubinsel Barbara an.
Die Bilanz am 10. Januar: Durch die Ölbekämpfungsschiffe wurden 30 Kubikmeter Öl aufgenommen. Die Barbara pumpte 305 Kubikmeter Öl ab. Zudem wurden aus den Laderöumen 250 Tonnen verfestigtes Öl-Holzkohle-Gemisch abgegriffen. An den Stränden mussten Einsatzkräfte 870 Tonnen Ö-Sandgemisch aufnehmen – 68 Prozent davon auf Föhr. 700 Tonnen feste Ladungsreste gingen in die Entsorgung.
Insgesamt kamen rund 16.000 Seevögel durch das ausgelaufene Öl ums Leben.
Im Einsatz waren seit dem 28. Oktober 830 Kräfte: 170 Mitarbeiter vom Staatlichen Umweltamt in Schleswig un Husum, 30 Gemeindemitarbeiter, 30 Feuerwehrleute auf dem Feuerlöschboot Kiel, 400 freiwillige Feuerwehrleute, 150 THW-Helfer, 50 Akteure der Landesregierung, 20 Mitarbeiter des Nationalparkservice, 40 Jäger und weitere 40 ehrenamtliche Helfer von unterschiedlichen Seiten. 25 Schiffe waren an dem Einsatz beteiligt.
Die Pallas – Hintergründe zur Havarie
Auf der Kommandobrücke des brennenden Holzfrachters Pallas diskutieren am 25. Oktober 1998 der polnische Kapitän Nacie Stepien (52) und Steuermann Tad Pawloski (49) die Lage. „Fahren Sie nach Esbjerg“, meint der Steuermann. „Es sind nur 60 Seemeilen.“ Der Sturm peitscht die Wellen 8 Meter hoch. Der Wind brüllt. Salzige Gischt sprüht über Deck.
Doch Esbjerg verweigert die Einfahrt. So befiehlt der Kapitän: „Alle Mann an Deck.“ Dann dreht er sein Schiff gegen die Wellen, um den Sturm abzureiten. Seeleute tun das, damit die Wellen das Schiff nicht an der Breitseite treffen und zum Kentern bringen. Aber bei einem brennenden Schiff kann der Wind das Feuer im Laderaum dann erst recht anfachen. Wenig später lässt der Kapitän einen Notruf senden. Auf Helgoland und in Esbjerg (Dänemark) steigen am 25. Oktober Rettungshubschrauber auf. Schwere Maschinen vom Typ Seaking.
Nachts um 1.20 Uhr erreicht ein deutscher Marine-Hubschrauber das Schiff. „Das Vorschiff brannte, Flammen schlugen 30 Meter hoch. Die Crew warf Rettungsinseln über Bord“, berichtet Oberleutnant Oliver Treu.
Null Ahnung von Rettungsinseln
Die Rettungsinseln blasen sich automatisch auf, wenn man eine Reißleine zieht. Aber das wissen die Seeleute der Pallas offenbar nicht. Die Rettungsinseln treiben ungeöffnet davon. Feuer-Inferno und Sturm machen es unmöglich, die Seeleute mit einer Seilwinde in die Hubschrauber zu holen. Auf der Pallas wird ein Rettungsboot klar gemacht. 14 Seeleute klettern hinein. Der philippinische Koch gerät zwischen Rettungsboot und Schiffswand. Er kommt dabei ums Leben.
Die Besatzung des deutschen SAR-Hubschraubers bringt vier Seeleute mit der Rettungswinde in Sicherheit, die Dänen retten zwölf. Nur der Kapitän bleibt an Bord der Pallas. Erst nach Stunden springt er in die eisige See – und lässt sich von Oliver Treu retten.
Das brennende Schiff stampft mit laufenden Maschinen führungslos durch die Nordsee. Was danach geschieht, empört Millionen Umweltschützer und lässt Feuerwehrleute die Köpfe schütteln. Deutsche Schiffe versuchen, das Schiff auf den Haken zu nehmen. Aber nach 16 Stunden reißt die Leinenverbindung. Die Pallas strandet schließlich vor der Nordseeinsel Amrum in Nordfriesland. Öl läuft aus. Mindestens 10.000 Seevögel sterben an der Ölpest.
Hätte man die Umwelt-Katastrophe verhindern können? „Ja“, sagen einige Seefahrts-Experten. Am Tag nach der Rettung der Seeleute sei das Meer relativ ruhig gewesen. Man hätte eine neue Besatzung auf der Pallas absetzen können, um sie in einen sicheren Hafen zu fahren.
„Ja“, meint damals auch Peer Rechenbach, zu der Zeit Leitender Branddirektor in Hamburg, in einem Zeitungsinterview. Das Schiff habe zwischen Laderäumen und Deckshaus ein sogenanntes Doppelschott. Einen abgeschotteten Leerraum. Bei rechtzeitiger Flutung hätte das Feuer wohl nicht auf Maschinenraum und Deckshaus übergegriffen. Denn erst nach fünf Tagen habe das Feuer den Maschinenraum erreicht.
Redeverbot für Feuerwehrleute
Die Bemerkung Rechenbachs löst ein mittleres politisches Erdbeben aus. Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) beschwerte sich bei Hamburgs Bürgermeister Ortwin Runde (SPD). Der reicht die Beschwerde an den Innensenator weiter. Und so weiter.
Es geht letztlich darum, ob ein Feuerwehrmann offen seine Meinung sagen kann. Um die Wahrheit geht es wohl weniger. Die sieht – nach allem, was bekannt ist – so aus: Sofort nach dem Seenotfall benachrichtigen dänische Behörden den Zentralen Meldekopf der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes. Dieser sitzt in Cuxhaven. Was zu tun ist, wenn ein Schadstoffunfall an der deutschen Küste droht, ist seit Jahren amtlich bekannt. Schon im Jahre 1994 hat eine Gruppe von 38 Behörden- und Firmenvertretern entsprechende Regelungen ausgearbeitet.
Der Meldekopf soll Meldungen übrigens nicht nur entgegennehmen, sondern auch weiterleiten. An eine gemeinsame Einsatzleitgruppe und Sonderstellen des Bundes und der Küstenländer – an alle Stellen, die helfen könnten. Dazu gehören in diesem Fall die Bundeswehr, vor allem aber die Feuerwehren. Die Wehren von Cuxhaven und Brunsbüttel sind für die Schiffsbrandbekämpfung speziell ausgerüstet und geschult. Aber sie werden nicht alarmiert.
Stattdessen schickt der Meldekopf die bundeseigenen Mehrzweckschiffe Mellum und Neuwerk der brennenden Pallas entgegen. Sie sollen die Lage erkunden. Warum eigentlich? Die Lage ist bekannt. Das Schiff ist aufgegeben worden und treibt führerlos im Meer. Dass es brennt, wissen die Akteure auch. Trotzdem denkt zu diesem Zeitpunkt niemand daran, einen Löschtrupp mitzunehmen. Der wird erst angefordert, als die Schiffe die Pallas erreicht haben.
Feuerwehr kommt zu spät
Wertvolle Stunden gehen verloren. Und das Wetter wird wieder schlechter. Wie viele Feuerwehrleute man für den ersten Angriff bei der Schiffsbrandbekämpfung braucht, ist auch bekannt. Aus dem Abschlussbericht der Expertengruppe Schadstoffunfall-Bekämpfung: „Für den ersten Abmarsch müssen mindestens 16 Feuerwehrmänner unter Führung eines erfahrenen Zugführers des gehobenen feuerwehrtechnischen Dienstes vorgesehen werden.“
Auch das ist offenbar in Vergessenheit geraten. Als endlich in Cuxhaven ein Hubschrauber bereitsteht, ist dieser zu klein. Als ein größerer Helikopter kommt, hat sich der Sturm zum Orkan gesteigert.
Der Cuxhavener Feuerwehrmann Horst Sieroux berichtet später: „Wir konnten nicht auf das Schiff, sahen aber das Feuer im Laderaum. Die Lukendeckel haben sich nach oben gewölbt.“ Das Feuer wütet weiter. Der Lack an den Bordwänden brennt und platzt in großen Placken ab. Stahlplatten glühen aus. Die Feuerwehrleute müssen sich darauf beschränken, die Bordwände zu kühlen. Mit einem Monitor der Neuwerk.
„Das Schiff macht uns das Leben schwer“, berichtet ein Sprecher des Zentralen Meldekopfes in Cuxhaven. „Ein brennendes Schiff ohne Crew, ohne Energie – das ist tote Masse. Nicht zu kontrollieren.“
Umsonst gewartet
Der Rundfunk sendet die Nachricht von dem brennenden Frachter auf der Nordsee in den Morgennachrichten – und jeder, den das an der Nordseeküste angeht, macht sich seine Gedanken. „Sie werden das Schiff auf den Haken nehmen und hierher bringen“, meinen Experten in Cuxhaven. „Sie haben brennendes Holz an Bord. Das muss die Feuerwehr am Kai ablöschen.“ Daher wird die Roll-ou-Roll-off-Anlage geräumt. Aber es kommt kein Anruf vom Meldekopf. Es kommt auch kein Schiff.
„Sie werden uns alarmieren“, denkt sich die Besatzung des Feuerlöschschiffes Kiel. Die Feuerwehrleute besorgen sich Seekarten von der Küste bei Amrum. Die Kiel liegt – wenn sie keinen Einsatz hat – in Kiel und ist ein hochseetüchtiges Ölschadensbekämpfungs- und Feuerlöschschiff: 48 Meter lang, 9,20 Meter breit. Es ist für Einsätze in explosionsgefährdeter Atmosphäre gebaut. Es hat zwei Feuerlöschpumpen (je 9.000 Liter/Minute), zwei Schaummittelpumpen (je 450 Liter/Minute), zwei Monitore und 28 B-Anschlüsse.
Die Fahrt von Kiel bis Brunsbüttel dauert üblicherweise 6 Stunden. Nach weiteren 4 Stunden könnte das Feuerlöschboot den Havaristen erreichen. Aber die Kiel bekommt keinen Alarm. 16 Tage nicht. Und als es dann soweit ist, diskutieren Politiker darüber, dass ja die Ostsee ungeschützt sei, wenn das Feuerlöschschiff an der Nordseeküste im Einsatz ist. Auf der Ostsee allerdings gibt es kein brennendes Schiff.
Auch der Hochseeschlepper Oceanic wartet lange Zeit auf einen Einsatzbefehl. Um ihn gibt es an der Küste seit Jahren Streit. Der Schlepper gehört der Hamburger Bugsier-Reederei, wird von der Bundesregierung für 7 Millionen Deutsche Mark im Jahr gechartert. Die Besatzung besteht aus erfahrenen Bergern.
Allerdings halten handelnde Personen das Chartern der Oceanic für überflüssig. Sie meinen, bundeseigene Schiffe, insbesondere die Mehrzweckschiffe Mellum und Neuwerk würden ausreichen. Die Mellum und Neuwerk wiederum gelten an der Küste als „Salonschiffe“, auf denen möglichst nichts schmutzig werden darf. Tatsache ist: Ein Hochseeschlepper, wie die Oceanic, hat für das Schleppen von Schiffen konstruktionsbedingte Vorteile. Sein Schwerpunkt liegt weit vorne. Deshalb kann es besser manövrieren. Die Mellum und die Neuwerk können allenfalls als Hilfsschlepper bezeichnet werden.
Als die Pallas-Havarie beginnt, schleppt die Oceanic einen brennenden Bauxit-Frachter nach Stade, danach wird sie auf eine Warteposition vor Helgoland beordert. Als sie endlich zur Pallas nach Amrum geschickt wird, ist es zu spät. Der Schlepper hat zu viel Tiefgang, um das Schiff zu erreichen.
Und dann kommt das Öl
Es ist Sonntag morgen, als dem Hamburger Vogelschützer Dieter K. am Strand von Amrum die erste Ente mit öligschwarzem Gefieder entgegentaumelt. „Erst sah ich ein paar dutzend Enten“, berichtet der Vogelschützer. „Dann blickte ich zum Horizont und sah Hunderte.“
Insgesamt treiben über 20.000 verölte Vögel im Meer. Es gibt noch andere Beobachter des Geschehens: Reporter aus Hamburg, die sich augenblicklich zum Unglücksort begeben haben. Die Truppe gilt als selbstbewusst, erfahren und unerschrocken. Eine Fernsehreporterin ruft, als sie aus einem Hubschrauber den Pallas-Ölfilm auf dem Meer entdeckt, im Kieler Umweltministerium an und meldet ihre Beobachtung.
„Da tritt kein Öl aus“, behauptet eine Behörden-Mitarbeiterin stur und fest. „Aber ich habe es doch selbst gesehen“, empörte sich die Reporterin. Vom Kieler Umweltministerium bekommt die Journalistin offenkundig falsche Auskünfte, von der Einsatzgruppe in Cuxhaven manchmal gar keine. Die ist zeitweise nicht einmal von der Feuerwehr zu erreichen.
In dieser Lage befragen Reporter die Hamburger Feuerwehr – und erhalten die Auskunft, dass das Feuer – hätte man es früh genug bekämpft – wohl längst gelöscht wäre. Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) sieht das ganz anders. Für sie ist das Feuer auf der Pallas ein Inferno von schier unbeherrschbarer Naturgewalt. Für deutsche Einsatzkräfte nicht zu löschen. Niederländer müssen her.
Die Bewohner der Nordseeinseln Amrum und Sylt machen sich ernsthafte Sorgen um ihre Zukunft. Auf der Insel Föhr setzen sich Bauunternehmer und Schiffer zusammen. Denn technisch sind die Küstenbewohner fit: Sie haben Schiffe mit niedrigem Tiefgang, Pumpen und Aggregate.
In einem Schreiben der Baufirma Nahm Christiansen an das Kieler Umweltministerium heißt es: „Da bis zum 9. November noch keine Firma mit dem Löschen begonnen hatte, haben wir telefonisch am selben Tag bei der Einsatzleitstelle in Cuxhaven sofortige Löschhilfe angeboten. Diese wurde abgelehnt.“ Auch von der Abdichtung des Lecks durch Fliese und Folien wollen die Einsatzleiter nichts wissen. Zur Erinnerung: Der erste Rauch auf der Pallas ist am 25. Oktober gesichtet worden. Firma Christiansen bemängelte, dass bis 9. November nicht gelöscht wird.
Das Schiff brennt immer noch, als die Bergungsfirma Wijsmüller vor Amrum aufkreuzt. Medienwirksam wird ein Stromerzeuger per Hubschrauber an Bord gebracht. Leider springt das Gerät nicht gleich an: Die Batterien sind leer. Auch der erste Versuch, eine Luke zu öffnen, scheitert: Das Bergegeschirr bricht. Überhaupt fällt die erste Ausrüstung der Spezialisten eher mager aus, wie Augenzeugen berichten.
Aber wie das so ist: Irgendwann ist jedes Feuer aus. Weil es nichts mehr gibt, was brennen kann. Das Feuer auf der Pallas ist gelöscht. Die Hubinsel Barbara liegt neben dem Wrack. Man bemüht sich, das Öl aus dem Schiff abzupumpen. Auf politischer Seite entstehen Eingeständnisse, dass bei der Löschaktion wohl nicht alles perfekt gelaufen ist. Vielleicht hätten die Akteure einfach etwas früher die Feuerwehr anrufen sollen.