Menschenführung in der Feuerwehr

Zwischen Befehl und Bitte: Führungsstile in der Feuerwehr

Mitgliederzahlen in freiwilligen Feuerwehren sinken. Rückläufige Geburtenzahlen (demographischer Wandel), gestiegene Anforderungen im Beruf, veränderte Lebensumstände sowie die Landflucht (Wohnortwechsel vom ländlichen Raum in Städte) werden unter anderem als Gründe angeführt. Aber auch der Umgang mit dem Personal in den Feuerwehren spielt dabei eine Rolle. Oder gelingt den Führungskräften etwa immer die richtige Ansprache der einzelnen Kameraden?

Der eine Zugführer oder Gruppenführer brüllt über den Hof, der andere wirkt motivierend auf seine Truppe ein. Die Interpretation vom kooperativen und autoritären Führungsstil geht weit auseinander. Wir erklären, welche Auswirkungen das Auftreten der Führungskräfte auf die Mannschaft haben kann.

Anzeige

Oberbrandrat Reiner Heuschen, Ausbilder im Bereich Menschenführung, Methodik und Didaktik am Institut der Feuerwehr (IdF) Nordrhein-Westfalen in Münster, erklärt: “Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand. Doch zu dem notwendigen Verstand in einer Führungsposition gehört nicht nur das Fachwissen. Hierzu zählt auch das Wissen über den richtigen Umgang mit Menschen sowie soziale Kompetenz.” Die Führungsstile würden in den Laufbahnlehrgängen für freiwillige Feuerwehrmitglieder inhaltlich jedoch nur kurz angerissen, so Heuschen. Im Gruppenführerlehrgang nimmt der gesamte Bereich “Führen” nach Feuerwehr-Dienstvorschrift 2 (Ausbildung der Freiwilligen Feuerwehren) nur 3 Unterrichtsstunden ein. Immerhin 6 Stunden entfallen im Zugführer-Lehrgang auf den Bereich. Die Führungsstile machen darin jedoch nur einen Bruchteil aus.

PDF-Download: Download Menschenführung

Umfangreiches eDossier-Special:

4,90 €
AGB

 

Autoritärer oder kooperativer Führungsstil?

Bei den Aktiven hat sich die Erwartungshaltung gegenüber den Führungspersonen in den letzten Jahren deutlich gesteigert. “Gerade Menschen, die durch freiwilliges Engagement ihre Arbeitskraft in den Dienst der Gemeinschaft stellen, erwarten von Führungskräften eine angemessene Ansprache”, erklärt Reiner Heuschen. Die Erwartungshaltung hängt unmittelbar mit Respekt und Anerkennung der eigenen Persönlichkeit zusammen. “Es gilt, Führungskräfte dafür zu sensibilisieren”, sagt Heuschen.

Wichtig: Führungskräfte sollten in ihrem Verhalten berücksichtigen, dass sie stark von den Fähigkeiten der Mannschaft abhängig sind!

In der Regel werden der autoritäre und der kooperative Führungsstil betrachtet. “Autoritäres Führen ist in erster Linie eine Ausdrucksform von Macht und die Festigung der eigenen Position”, erklärt Reiner Heuschen “Mit Autorität sollen Ziele erreicht werden, koste es, was es wolle.” Bei dieser Art der Menschenführung sind Mitdenken und selbständiges Handeln der Mitarbeiter nicht erwünscht. Im Gegenteil: Der Vorgesetzte erwartet von seinen Mitarbeitern nahezu bedingungsloses Gehorsam, duldet keinen Widerspruch. Ein Modell, was in den freiwilligen Feuerwehren im Rahmen der Dienste und Veranstaltungen heute keinen Anklang mehr finden sollte.

Cartoon_Menschenfuehrung_Teil2

“Vielleicht kommen ehrenamtliche Kameraden kurzfristig mit diesem Führungsstil zurecht. Aber mit der Zeit werden sie vermutlich nur noch Dienst nach Vorschrift leisten und ihre Motivation zunehmend verlieren”, sagt Heuschen. Fatal sei, so der Ausbilder, dass wertvolle Fähigkeiten der Aktiven nicht ausgeschöpft würden.

Aus diesem Grund verzichten die Führungskräfte der Freiwilligen Feuerwehr Mildstedt (Kreis Nordfriesland) auf stark autoritäres Auftreten. “Mit der Mannschaft wird alles nach Übungsende und teilweise auch nach Einsätzen durchgesprochen”, erzählt Wehrführer Hartmut Jessen. “Aus der Mannschaft nehmen wir konstruktive Verbesserungsvorschläge an. Wenn wir unseren Kameraden ermöglichen, ihr Wissen und Können mit einzubringen, können wir davon nur profitieren.”

Unterscheidung zwischen Einsatz und Feuerwehrdienst

Wie geht das im Einsatz? Auch hier können Entscheidungen gemeinsam mit vorgehenden Trupps getroffen werden. Wenn eine Einsatzsituation jedoch klare Befehle eines Einsatzleiters erfordert, sollten diese erfolgen und von den Kameraden anerkannt werden.

“Das Führen mit Befehlstaktik im Einsatz gemäß der Feuerwehr-Dienstvorschriften wird häufig dem autoritären Führungsstil zugerechnet“, erklärt Heuschen. “Natürlich enthält die Befehlstaktik autoritäre Kernelemente. Aber es ist nicht richtig, Vorgaben einer Dienstvorschrift einem Führungsstil zuzuordnen.” Führungsstrukturen im Einsatz sollten unabhängig vom Auftreten des Einsatzleiters gewährleistet werden.

Doch im Feuerwehrdienst gilt es, dass die Verantwortlichen der Feuerwehr und ihrer Mannschaft eine Struktur geben. Es gilt, eine klare Richtung zu definieren. Dafür bedarf es aber nicht zwingend den autoritären Führungsstil.

Wichtig: Der Ton macht die Musik! Autorität hat nichts mit unnötiger Lautstärke zu tun.

Insgesamt bevorzugt die FF Mildstedt den kooperativen, demokrativen Führungsstil. In diesem Modell bezieht der Vorgesetzte seine Mannschaft in die Organisation und Entscheidungsprozesse mit ein. Er erlaubt konstruktive Diskussionen.

“Durch diesen Stil soll das Potential, welches in den einzelnen Kameraden steckt, gefördert werden”, erklärt Reiner Heuschen. “Das ‚Wir-Gefühl‘ rückt in den Vordergrund. Ziele werden gemeinsam formuliert und Zeiträume fixiert, in denen sie erreicht werden sollen.” So besteht bei den festgelegten Zielen eine große Übereinstimmung. Und es entsteht auf dem Weg dahin in der Mannschaft mehr Selbständigkeit. Es wird Verantwortung auf jeden in der Gemeinschaft übertragen und Vertrauen in das Können der Einzelnen gesetzt.

Zu einer kooperativen Struktur gehört es, Probleme offen anzusprechen, Fehler zu zulassen und gemeinsam Lösungen zu finden. “Meinungsverschiedenheiten sollten offen ausgetragen werden – in einer Form, in der Fairness und Sachlichkeit bestimmend sind“, betont Heuschen. Wenn sowohl Führungskräfte als auch Mannschaft die Grundsätze des kooperativen Umgangs befolgen, ist die Chance auf einen harmonischen Umgang in der Gruppe groß. “Bei aller Menschlichkeit im Führungsprozess ist es wichtig, sich seiner professionellen Rolle bewusst zu sein”, mahnt Heuschen.

Wichtig ist bei der Feuerwehr auch, dass die Führungskräfte nicht in den sogenannten Laissez-faire-Stil abdriften. Darin herrscht die Selbstbestimmung und -organisation vor. Es droht die Gefahr von mangelnder Disziplin und fehlender Struktur.

Kommunikation ist das wichtigste Führungsmittel

Unverzichtbar bei einer kooperativen Führung ist die Kommunikation. Sie ist im Grund das wichtigste Führungsmittel. “Klare und transparente Kommunikation fördert ein harmonisches Miteinander bewirkt Handlungssicherheit bei den Kameraden”, erklärt der IdF-Ausbilder. “Dies trifft auch auf Einsätze zu.”

Es spielt beim Umgang in den Feuerwehren auch eine Rolle, dass ein kontinuierlicher Generationenwechsel stattfindet. “Gerade die Ansprache der jungen Kameraden fällt erfahrenen Feuerwehrmännern nicht immer leicht. Die Jüngeren leben zum Teil in einer eigenen kommunikativen Welt, in der sie eigene Ideen und Vorstellungen entwickeln”, sagt Heuschen. Gleichzeitig fehlt den Heranwachsenden bisweilen das Verständnis für markige Sprüche der Erfahrenen.

“Führungskräfte sind von der Mannschaft abhängig”

Expertentipp von Bernd Balduf, Ausbilder an der Landesfeuerwehrschule Baden-Württemberg in Bruchsal

Feuerwehr-Einheiten sind, genauso wie Sondereinsatzkommandos der Polizei oder Besatzungen von Notarzteinsatzfahrzeugen und Rettungswagen, sogenannte Hochleistungssysteme. Die Führungskräfte in solchen Systemen haben eines gemeinsam: Sie müssen in akuten Not- und Gefahrenlagen innerhalb kürzester Zeit, häufig ohne vollständige Informationen, die richtigen Maßnahmen treffen. Es ergeben sich in der Regel keine Möglichkeiten, Handlungen und deren Wirkung zu testen. Irrtümer sollten vermieden werden.

So sind die Führungskräfte stark von den Fähigkeiten ihrer Mannschaft abhängig. Vor diesem Hintergrund den kooperativen oder autoritären Führungsstil als alleiniges geeignetes Mittel zu betrachten, wäre reichlich kurz gedacht. Die Führungspersonen sind und bleiben Teil eines Gesamtsystems und sollten lernen, dies auch so umzusetzen. Führen endet nicht beim Erlernen und Anwenden eines Führungsstils. Es bedeutet viel mehr, zu begreifen, welche Fähigkeiten und Neigungen, aber auch welche Bedürfnisse und Wertvorstellungen, die Mannschaft mitbringt. In der Führungsfunktion gilt es, diese Fähigkeiten und Werte zu koordinieren. Eine harte, situationsbedingte Abgrenzung zwischen dem autoritären und kooperativen Führungsstil wird diesem nicht gerecht.

In Stresssituationen kann die Gehirnleistung des Menschen sehr stark beeinträchtigt werden. Dennoch kann unser Gehirn in Extremsituationen enormes leisten. Antrainierte Handlungsabläufe abzurufen, gehört dazu. In der Aus- und Fortbildung sollten Handlungsabläufe entwickelt und auf spezielle Situationen und Anforderungen abgestimmt werden. Aus- und Fortbilden sowie Fördern von Fähigkeiten in der Einheit wird zu einem wichtigen Teil der Führungsaufgabe. In jeder Situation müssen sich die Bilder in den Köpfen von Einsatzleiter und Mannschaft gleichen. Eine optimale Vernetzung der Fähigkeiten von Mannschaft und Führungskräften schafft gegenseitiges Vertrauen.

Menschenführung – Methoden der Einsatznachsorge

Einsatzsituationen können bei den Helfern nachwirken. Je nach Schwere gilt es, das Erlebte aufzuarbeiten – einzeln oder in der Gruppe. Doch dafür gibt es kein Patentrezept. Einige fühlen sich bei einem Kameradengespräch wohler, andere nutzen professionelle Hilfe. Wir stellen beide Wege vor.

Am Mittwoch, den 3. Juni 1998, rollt der ICE 884 „Wilhelm Conrad Röntgen“ mit 200 km/h durch den Landkreis Celle, als ein Radreifen am ersten Waggon bricht. Den Zwischenfall bemerkt der Lokführer nicht. Wenige Kilometer weiter in Eschede entgleist der Zug an einer Weiche. Es ist 10.59 Uhr. Der Triebkopf rast weiter, die ersten drei Waggons kommen nach einigen hundert Metern parallel zu den Schienen zum Stehen. Der vierte Waggon rutscht vom Bahndamm in einen Wald, der nächste schlägt gegen eine Straßenbrücke und wird zerfetzt. Die Brücke stürzt ein, weitere Waggons rasen in das Trümmerfeld. Insgesamt kommen 101 Menschen ums Leben, 88 Passagiere erleiden schwere Verletzungen.

Die größten Eisenbahnunglücke

Unter der Überschrift “Die ICE-Katastrophe von Eschede” berichtete das Feuerwehr-Magazin in Ausgabe 9/1998 über das schwerste Eisenbahnunglück in Deutschland. Foto: Preuschoff

Um 11.03 Uhr lösen die Funkalarmempfänger der freiwilligen Feuerwehr aus, zusätzlich heulen die Sirenen in Eschede. Diese werden seit 1988 nur noch bei Großalarm betätigt. Mit dem zweiten Fahrzeug der Wehr ist der heutige Ortsbrandmeister Gerald Lange vor Ort. „Aus der Anfangsphase weiß ich noch alles. Die Rettungs- und Bergungsmaßnahmen in dem Trümmerfeld gehen mir nie mehr aus dem Kopf“, erzählt er.

Drei Tage lang sind die Freiwilligen im Einsatz, eingeteilt in Schichten. Schon in der Anfangsphase stehen Seelsorger an der Einsatzstelle parat – nicht nur für Angehörige, sondern auch für die Helfer. Einige Aktive suchen bereits vor Ort das erste Gespräch.

„Nach Abschluss unserer Tätigkeit trafen wir uns mit einem Großteil der Mannschaft in einer großen Runde“, erinnert sich Lange. „Pastor Christoph Künkel übernahm bei folgenden Treffen die Moderation. Aber vor allem tauschten wir Kameraden unsere Gedanken aus. Das ist bei allen gut angekommen.“ Einige Feuerwehrmitglieder haben sich zusätzlich persönlich professionelle Hilfe geholt, um das Erlebte nachhaltig aufzuarbeiten.

Bereits vor der ICE-Katastrophe sprachen die Kräfte der FF Eschede nach fast jedem Einsatz kurz gemeinsam über die Geschehnisse. „Es ist ganz schlecht, wenn die Kameraden ihre Gedanken mit nach Hause nehmen, ohne sie einmal rausgelassen zu haben“, sagt der Ortsbrandmeister.

Michael Steil, Vorsitzender des Netzwerks Psychosoziale Notfallversorgung, gibt den Hinweis: „Letztlich könnte jeder Einsatz eine mögliche Indikation für eine Betreuung und Unterstützung bedeuten – dies hängt davon ab, was die Einsatzkraft selbst empfindet und wahrnimmt.“

Professionelle Hilfe sollte immer greifbar sein

Interne Nachbereitungen nach Einsätzen sind ein gutes Angebot, das Erlebte raus zu lassen. Aber Steil stellt klar: „Die Retter sollten jederzeit die Möglichkeit haben, auf ein Angebot der Psychosozialen Unterstützung, Notfallseelsorge oder Nachsorge zurückgreifen zu können.“ Notwendig sei eine bekannte und von den Kameraden akzeptierte Anlaufstelle, so der Diplom-Theologe. Dies könne sowohl durch Profis – Feuerwehrseelsorger und Psychotherapeuten – als auch durch kollegiale Unterstützung von darin ausgebildeten Feuerwehrleuten abgebildet werden.

Aus Feuerwehrleuten setzt sich zum Beispiel das Einsatz-Nachsorge-Team (ENT) Land Brandenburg zusammen. Hier engagieren sich…

PDF-Download: Download Menschenführung

Umfangreiches eDossier-Special:

4,90 €
AGB

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert